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Büchertipps / Rezensionen



Titelbild
Andreas Klärner/Michael Kohlstruck (Hg.):

Moderner Rechtsextremismus in Deutschland

Der Band setzt sich wissenschaftlich und umfassend mit den aktuellen Entwicklungen rechtsextremer Strukturen auseinander


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Die extreme Rechte in Deutschland zeigt ein neues Gesicht: Naziaufmärsche, bei denen Ton Steine Scherben-Lieder gespielt werden, Politiker, die sich für die wahren Sozialisten halten und die ständige Erzeugung von gewollten Skandalen. Im Sinne von Gramsci sollen Begriffe, Ängste und nicht zuletzt die Jugend vereinnahmt werden. Mit den Entwicklungen der Rechten seit 1990 befassen sich immer wieder Journalisten – und Wissenschaftler. Arbeiten von Heitmeyer und Gessenharter zählen dabei noch zu den meistgelesenen. Neben diesen beiden Personen widmen sich seit Jahren auch andere Wissenschaftler zunehmend dem Phänomen des modernen Rechtsextremismus.

Das Hamburger Institut für Sozialforschung brachte 2006 einen Sammelband mit aktuellen wissenschaftlichen Untersuchungen heraus. Zusammen mit den Herausgebern Andreas Klärner und Michael Kohlstruck beleuchten elf weitere Autoren (darunter auch der Antisemitismus-Forscher Rainer Erb) die Entwicklungen in den letzten 15 Jahren. Die einzelnen Arbeiten sind unterteilt in drei Themenfelder. Das erste befasst sich mit der Bewegung an sich, so werden die aktuellen Tendenzen anhand dem Beispiel einer ostdeutschen Stadt analysiert, die Demonstrationspolitik der Herren Worch und Wulff genauer unter die Lupe genommen und die Bedeutung der Musik für subkulturelle Gruppen hervorgehoben. Der interessanteste Beitrag zum ersten Themenfeld stammt von drei Soziologen, die den Umgang mit Rechtsextremismus in zwei Kleinstädten beschreiben und gegenüberstellen. Dabei fällt auf, dass sich gerade die Lokalpolitiker völlig unterschiedlich verhalten. Obwohl beide Städte ein deutliches Problem mit Rechtsextremismus haben, wird dieses nur von den Politikern der einen Stadt ernst genommen.

Im zweiten Themenkomplex werden Strategien, Akteure und Parteien vorgestellt. Im Fokus stehen hier unter anderem die Wahlerfolge der Republikaner in Baden-Württemberg. Sonja Koch fand heraus, dass negative soziale und ökonomische Entwicklungen nicht unbedingt Indikatoren für rechtsextremes Wählerpotential sind, sondern eine Vielzahl von Faktoren eine Rolle spielen. Ein Arbeitermilieu ohne die Tradition eines Industrieproletariats neigt beispielsweise eher dazu rechtsextrem zu wählen als ein starkes katholisches Milieu.

Der dritte Themenkomplex beschäftigt sich schließlich intensiv mit den Rollenbildern der Szene. So spielt nach wie vor die übertriebene Männlichkeit eine große Rolle, Frauen sind aber rechtsextremen Einstellungen längst nicht mehr so abgeneigt.

Das Fazit der Autoren überrascht nicht: Die Gewalttaten nehmen parallel zu den fremdenfeindlichen Haltungen zu, die rechtsextreme Subkultur weitet sich weiterhin aus und neue Aktions- und Organisationsformen sind zu erkennen. Die stramme Hierarchie wird durch lose Zusammenschlüsse aufgebrochen und erscheint so für viele anziehender. All diese Punkte führten dazu, dass sich der moderne Rechtsextremismus in den letzten Jahren zu einer sozialen Bewegung gewandelt hat.

Der Sammelband besticht durch sehr fundierte Analysen. Themen, die bisher hauptsächlich von Journalisten wie Röpke, Speit und Staud bearbeiten wurden, erreichen durch die wissenschaftliche Auseinandersetzung eine andere Dimension. Der Gefahr, dabei langatmig und schlecht „lesbar“ zu werden entgehen die Arbeiten größtenteils. Durch eine abwechslungsreiche, umfassende und dadurch interessante Ausarbeitung gelingt es, Lesergruppen anzusprechen, die sich fern vom wissenschaftlichen Alltag befinden. Natürlich ergeben sich bei einer solch breiten Themenwahl auch Probleme. Manchmal hat der Leser den Eindruck über den Flickenteppich der einzelnen Gebiete zu stolpern. Nicht immer erscheint die Einteilung der drei Themengebiete sinnvoll, aber die Klasse der Autoren und die fundierten Analysen lassen über diese kleine Schwäche hinwegsehen.



RezensentIn: Sebastian Friedrich

Erschienen bei Hamburger Institut für Sozialwissenschaft 2006, 35,00 Euro. Sie können dieses Buch bei Amazon bestellen.


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