Karl Heinz Roth/ Angelika Ebbinghaus (Hg.):
Rote Kapellen - Kreisauer Kreise - Schwarze Kapellen
Neue Sichtweisen auf den Widerstand gegen die NS-Diktatur 1938-1945
Das Buch bietet in der Tat neue und interessante Sichtweisen auf den Kreisauer Kreis und den Widerstand der Offiziere gegen Hitler
Joachim Fest beansprucht inzwischen das Monopol der finalen Deutung deutscher Geschichte. Nach „Hitler“ und vor „Untergang“ hat er im „Staatsstreich“ den 20. Juli endgültig eingereiht und abgefertigt. Sein Buch endet zustimmend mit dem Zitat: „ Ich glaube, es war gut, dass es gemacht wurde, und vielleicht auch gut, dass es misslang“. Fest und viele staatstreue Nachbeter heften sich an Tresckows letzte Meldung: „Das Attentat muss gemacht werden, coûte que coûte“. Die Handlung aufs äußerste ausgedünnt, aufs Zeichen reduziert. Die Gräte statt des Fischs. Als hätten die Verschwörer alles nur getan, damit wir vor dem Ausland einen Gedenktag zum Feiern vorzeigen können. Gerade umgekehrt gehen Karl-Heinz Roth und Angelika Ebbinghaus vor. Sie versuchen den Vorgang, der zum 20 Juli führte, nicht zu verarmen, sondern zu bereichern.
Was hatten nicht nur die Offiziere, nicht nur der Goerdelerkreis, sondern auch die Gruppe um Graf Moltke für Vorstellungen? Was sollte nach dem Schluss der NSDiktatur kommen? Was davon hätte Eingang finden können in die Diskussionen unmittelbar nach Kriegsende? Dabei arbeitet vor allem Karl Heinz Roth die scharfen Gegensätze heraus, die die Verschwörer nur mühsam überbrücken konnten. Goerdeler, ehemals Bürgermeister von Leipzig, Sparkommissar in der Weimarer Republik und auch noch unter Hitler, war stark vom wirtschaftlichen Denken geprägt. Er suchte eine Sanierung des Staatshaushalts durch Steuererhöhung, unbezahlte Mehrarbeit und einen rigiden Sparkurs. (Der gegebene Mann für heute). Wie die meisten seines Kreises wollte er keineswegs zurück zu einem Parlamentarismus irgendeiner Art. Er schwärmte dem Präsidialsystem Hindenburgs am Ende der Republik nach. In der Durchführungsplanung des Aufstandes führte das dazu, dass ängstlich jede breite Volksbeteiligung, auch Streiks, ausgeschlossen wurden. Ebenso wurde kein Gedanke an die Beteiligung einfacher Soldaten verschwendet. Brutal gesagt: Gerade die angstvolle Erinnerung an die Soldatenräte von 1918 beschleunigte den Willen zu einer Einigung mit den Kriegsgegnern. Um Gottes Willen, nicht noch einmal die wilde Rotte, die Offizieren die Achselklappen herunterrissen...
So wundert es nicht, dass sowohl Stauffenberg und die Offiziere um ihn den als Reichskanzler vorgesehenen Goerdeler nur als „Kerenskilösung“ ansahen. Kerenski: das war derjenige, der in der ersten Zeit der russischen Revolution unbedingt den Krieg fortführen wollte, bis die Bolschewiki ihn stürzten. Die Überlegung war: 1918 haben sich die Sozialisten vor allem verhasst gemacht, weil sie den Kapitulationsvertrag unterzeichnet hatten. Dafür sollte Goerdeler herhalten: Danach: Adieu... Es gibt einen witzigen kleinen Roman Christian v. Ditfurths, in dem er davon ausgeht, das Attentat sei geglückt. Allerdings die SS erwiese sich am 21. Juli als Mitinhaber der Macht. Schließlich gäbe es 1953 vielleicht einen Bundeskanzler Himmler...
Der Roman bohrt sadistisch eben in der Unentschlossenheit des Goerdelerkreises. Diese Gruppe wollte Reich ohne Hitler, vor allem mit möglichst geringer Volksbeteiligung. So lässt sich eine erfolgreiche Umwälzung nicht einmal denken. Notwendig bleiben alte Machtblöcke ungestürzt. Herausgearbeitet wird, dass zum Beispiel Offiziere, die selbst in der Partisanenabwehr tätig waren, und die aktiv den Sturz Hitlers betrieben, trotzdem niemals auch nur den Gedanken fassten, etwa mit
Partisanen zusammen einen gesamteuropäischen Aufstand zu planen. Gerade darin zeigt sich der Unterschied zum Widerstand von unten, dem im Buch ebenfalls ein zusammenfassendes Kapitel gewidmet ist. Zu erinnern wäre etwa an den halbjüdischen Peter Brückner, dem es gelungen war, in der Armee unterzukommen. Kaum war er zur Bewachung eines Gefangenenlagers abgeordnet, knüpfte er Kontakte sowohl zu russischen Gefangenen wie auch zu Mitgliedern der im Untergrund immer noch tätigen Kommunistischen Partei Österreich. Ebenso berichtet Roth vom Bruder der Freya von Moltke. Er benutzte die Gelegenheit, als er in Italien als hoher Funktionär Arbeitskräfte für Bauten im Reich anwerben musste, selbst sich der Partisanengruppe „ Giustizia e Libertà“ anzuschliesen.
Kreisauer Kreis
Stark heben Roth und Ebbinghaus die Rolle des Moltkekreises hervor - nach dem Gut der Familie: Kreisauer Kreis genannt. Sie, in der offiziellen Literatur immer etwas geringschätzig als bloßer Diskutierclub behandelt, verzichteten bewusst auf gewaltsamen Sturz der Diktatur. Sie sahen die Notwendigkeit der Kapitulation voraus und beschäftigten sich mit den Möglichkeiten eines Neuanfangs. Dabei setzte Moltke selbst vor allem auf „kleine Einheiten“ unten, die sich fast räteartig selbst verwalten sollten. Als zusammenfassendes Element sollte hinzutreten ein wirklich geeintes Europa, an dem deutsche Teilstaaten gleichberechtigt teilnehmen sollten.
Gerade der Kreisauer Kreis nahm am ehesten sozialistische Elemente in sein Denken auf. Zwar rühmte Moltke sich im Abschiedsbrief, dass Freisler im Volksgerichtshof ihn wegen bloßen Denkens verurteilt hatte. Also war Denken als solches im Dritten Reich schon ein Verbrechen. Das könnte den Vorwurf gegen den blassen Nur-Denker bestärken. Nur dass Moltke bei „Denken“ stets ans Eingreifen dachte- wie es im Wort Begriff ja selber steckt: Wer so denkt, ist in Gedanken schon beim künftigen Zugriff.
Rote Kapelle
Zur Roten Kapelle wusste Fest im Jahre 94 nur zu sagen: “Die Gesinnungsbedürfnisse dieses vorwiegend intellektuellen Zirkels, dessen Mitglieder der einen Ideologie den Vorzug vor der anderen gaben...waren nur auf Unverständnis gestoßen“ S.237 Das, nachdem die „Ästhetik des Widerstandes“ von Peter Weiss ein Jahrzehnt lang vorlag, in deren drittem Band die Tätigkeit der Roten Kapelle ausführlichst gewürdigt wurde. Stefan Roloff im vorliegenden Band räumt mit diesen Gönnerhaftigkeiten auf. Er weist nach, dass über hundert Personen in engerem und weiterem Zusammenhang mit der Gruppe standen. Vor allem geht er gegen das gängige Klischee vor, die von der Gestapo so genannte Rote Kapelle hätte ihre Haupttätigkeit im Funken für die Rote Armee gefunden. Die Tatsache, dass sie über einen einmaligen Funkkontakt aufgespürt wurden, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier ein wesentlich linker Zusammenschluss sich für die kommende Zeit vorbereitete.
Insgesamt ein Buch, das vor allem im Jahr 2005 sein Gewicht finden sollte, wenn –hoffentlich – auch darüber diskutiert werden wird, was an Vorarbeiten vorlag, woran anzuknüpfen war, als endlich im Frühjahr 45 die Bunker sich öffneten.
RezensentIn: Fritz Güde
Erschienen bei VSA-Verlag 2004, 19,80 Euro.
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