Stéphane Beaud, Michel Pialoux:
Die verlorene Zukunft der Arbeiter
Die Peugeot-Werke von Sochaux-Montbéliard
Die Autoren legen eine überzeugende Langzeit-Analyse eines Peugeot-Werks in Frankreich vor, in der die Figur des Arbeiters im Mittelpunkt steht
Wie steht es eigentlich um die Zukunft der Arbeiter, welche die Einen abgeschrieben, die Anderen systematisch idealisiert haben? Lassen sich die technologischen Veränderungen in der Fabrik und der radikalen Kurswechsels in der Unternehmensführung (>>partizipatives Management<<, >>intelligentes Unternehmen<<, >>Unternehmen des dritten Typs<<, >>Ende des Taylorismus<<) verstehen, ohne die vielbeschworene >>Kampfbereitschaft der Belegschaften<< in Zweifel zu ziehen? Und nicht zuletzt: Wenn selbst im Mutterland des Generalstreiks solche soziale Konflikte nur noch im öffentlichen Dienst ausgetragen, in der Privatindustrie aber gar nicht mehr gestreikt wird, was ist dann geschehen?
Stéphane Beaud und Michel Pialoux haben das Peugot-Werk in Sochaux-Montbéliard fünfzehn Jahre untersucht und diese Feldforschung nun beim UV Konstanz vorgelegt. Zunächst: Der deutsche Leser, vor allem der politisch ambitionierte, wird Schwierigkeiten haben die Thesen von Beaud / Pialoux zu teilen. Zu stark ist das Klischee vom >>kleinen gallischen Dorf<< des Klassenkampfes, welches sich seit den großen Auseinandersetzungen 1994 gegen die Absenkung des Mindestlohnes (SMIC) wehrte und schließlich 1995/96 der Chirac-Übergangsregierung zum Verhängnis wurde. Anders als im übrigen Frankreich gab es in Montbéliard damals zwei getrennte Demonstrationszüge. Die Gymnasiasten aus der Region, sie haben am Morgen die Autobahn blockiert und am Nachmittag den Bahnhof besetzt. Als diese Versammlung sich auflöst, beginnt am anderen Ende der Stadt der Demonstrationszug der Fabrikarbeiter. Für die Soziologen Ausdruck eines unversöhnlichen Generationskonflikts, der seine Ursachen in den >>hochgeschraubten Bildungsnachweise<< hat. Doch gerade 1995/96 wurde bei Peugeot nicht gestreikt, dort hatte man ganz andere Probleme, die mit den Pannen und Fehler in den neuen Werkshallen HC 1 und HC 2 zusammen hingen. Durch massiven Einsatz von Zeitarbeiter sollte dies gelöst werden, was zu Spannungen mit den Festen führte (welche durch beeindruckende Interviews illustriert werden). Überhaupt scheint die technologische Umstrukturierung der 80er Jahre aus der Sicht des Management überhaupt nicht zufriedenstellend abgelaufen zu sein, viele der Maßnahmen wurden rückgängig gemacht und die Zeitarbeit schließlich auf ein Minimum reduziert, dies wird vor allem die neoliberalen Technik- und Flexibilisierungs-Fetischisten überraschen, die nicht viel mehr als sinnlose Investitionen in den Sand gesetzt haben. Der Zeitdruck auf die >>Werker<< aber wurde dermaßen erhöht, sowie die Auslagerungen zu Zulieferfirmen und Outsorcing betrieben. Es ist klar das dies eindeutig zu Lasten der sozialen Bedingungen der Arbeiter ging. Die Folgen waren ein verschärfter Konkurrenzdruck zwischen Arbeiter und Techniker einerseits und rassistische Tendenzen, sowie der erwähnte Generationenkonflikt, der gerade auch Migrantenfamilien spaltete. Sie waren vor allem von der >>Reform der Berufsbildung<< betroffen, von sinnlosen Warteschleifen in den Job. Darauf einen Blick zu werfen ist ein Verdienst der Autoren, was ihre Arbeit gerade in Deutschland interessant machen könnte. Hans-Herbert Holzamer hat sich in der Süddeutschen Zeitung vom 29./30. Januar 2005 mit dem geplanten Berufsbildungsreformgesetz beschäftigt, das im April in Kraft treten soll. 409 000 Jugendliche wurden demnach in Deutschland in sogenannte Warteschleifen geschickt, Berufsvorbereitungsjahr, Berufsgrundlagenbildung und berufsvorbereitende Maßnahmen. Nicht nur das damit die Statistiken geschönt und das überkommene duale Ausbildungssystem weiter verfestigt werden, IHKs, Gewerkschaften und private Träger dieser sinnlosen Beschäftigungstherapien leben davon, eine ganze Generation abgeschrieben zu haben. Die Arbeitslosigkeit von Jugendlichen ist nach dem Bericht hierzulande mit 20 Prozent weit höher als anderswo in der Europäischen Union, für Holzamer “höchste Zeit also, die >>unheilige Allianz<< der Sozialpartner und der nationalen Politik zu brechen”!
Beaud / Pialoux haben allerdings nicht vor einer vergangenen, nostalgischen Illusion eines goldenen Arbeiter-Zeitalters das Wort zu reden, ihnen ist vollkommen klar, dass ihre Lage immer von Notwendigkeiten und Zwängen geprägt war. Ihrer Sorge gilt vielmehr der Arbeiterkultur, die immer mehr bedroht ist. Ob ihr kurzer Blick über den Rhein, auf das >>rheinische Modell<< sich nicht als Holzweg erweisen könnte, macht schon der Hinweis auf das deutsche Berufsbildungsreformgesetz klar, ein Wortungetüm welches die >>französischen Verhältnisse<< fast schon als gemütlich erscheinen lassen. Aber das ist immer so beim berühmten kurzen Blick über den Tellerrand, die ganze Tafel erscheint dann immer verlockender als der Inhalt des Tellers. In Bezug auf die Arbeitswelt stehen da ganz andere Gänge auf dem Programm: Berufsvorbereitende Maßnahme, Zeitvertrag, Arbeitslosigkeit und schließlich eine Eingliederungsmaßnahme für ältere Arbeiter. Das klingt nicht sehr verlockend und dürfte mit ein Grund für die Bewegungslosigkeit der Arbeiter sein, beim Konflikt bei Opel Bochum im Oktober 2004 wurde das Wort Streik überhaupt nicht benutzt! Beim jüngsten Angriff auf die 35 Stundenwoche in Frankreich durch die konservative Raffarin-Regierung, sind es ebenfalls nicht die Arbeiterinnen der Privatindustrie, die sich zur Wehr setzen. Bourdieu, der allerdings den Generalstreik im Blick hatte, machte auf eine ambivalente Waffe der Arbeiter aufmerksam, die der Körperkraft. Für ihn sind >>die Verklärung der Werte der Männlichkeit und der Körperkraft einer der Wege, über die das Militär die unteren Klassen in die Falle lockt<< (Bourdieu, Soziologische Fragen, Frankfurt am Main 1993). Beaud / Pialoux, die viele Jahre mit ihm zusammenarbeiteten, haben eine aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwundene, >>unsichtbar<< gewordene Arbeiterfigur in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung gestellt. Vielleicht auch die Arbeitersoziologie erneuert!
RezensentIn: Adi Quarti
Erschienen bei Universitätsverlag Konstanz 2004, 34,00 Euro.
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