Erich Hödl (Hg.):
Aspekte einer europäischen Wirtschaftsordnung
Ein Sammelband zur Weiterentwicklung des europäischen Wirtschaftsmodells und der europäischen Wirtschaftspolitik
Das übergreifende Thema des von Erich Hödl herausgegebenen Sammelbands "Aspekte einer europäischen Wirtschaftsordnung" ist die Weiterentwicklung des europäischen Wirtschaftsmodells. Ziel ist es unter anderem, einen alternativen Entwicklungspfad zum US-amerikanischen Wirtschaftsmodell mit seiner individualistischen Tradition und dessen geringer Aufmerksamkeit für soziale und ökologische Fragen aufzuzeigen. Die Aufsätze des Sammelbandes behandeln dabei verschiedene ökonomische Gesichtspunkte einer europäischen Wirtschafts(ordnungs-)politik.
Einer der interessantesten Beiträge im Buch ist der von Margit Schratzenstaller, die beim WIFO in Wien beschäftigt und dort für haushalts- und steuerpolitische Fragen zuständig ist. Schratzenstaller beschäftigt sich mit der Unternehmensbesteuerung in der Europäischen Union. Die Autorin wertet die verfügbaren empirischen Arbeiten zu dieser Fragestellung aus und kommt zu dem Ergebnis, dass es Hinweise für einen langfristigen Bedeutungsverlust der Unternehmensbesteuerung in Europa gibt. Deutlich wird aber auch, dass vor Überdramatisierungen in Bezug auf diesen Bedeutungsverlust zu warnen ist. Um den Kapitalsteuerwettbewerb mit seinen negativen standort- und wachstumspolitischen Implikationen in der EU zu begrenzen, schlägt die Autorin eine stärkere Koordination der Unternehmensbesteuerung vor. Konkret plädiert Schratzenstaller für die Harmonisierung der Bemessungsgrundlage sowie die Einführung von zwei Mindeststeuersätzen für die alten und die neuen EU-Länder, wobei der Mindeststeuersatz für die neuen unter dem für die alten Länder liegen solle. In der langen Frist sei zudem die teilweise Überführung der nationalen Unternehmensbesteuerung in die Kompetenz der EU sinnvoll – nicht zuletzt, um dem EU-Budget eine weiter Finanzierungsquelle zu erschließen.
Markus Marterbauer, wie Schratzenstaller Mitarbeiter am WIFO, bemängelt die fehlenden Bausteine der EU-Wirtschaftspolitik. Alle großen Integrationsmaßnahmen der EU wie der gemeinsame Binnenmarkt, die Währungsunion und die Lissabon-Strategie hätten auf der Angebotsseite angesetzt– und alle seien mit unerfüllten Versprechungen verbunden gewesen. Marterbauer mahnt höhere öffentliche Investitionen und die Reform der EU-Budgetpolitik an – unter anderem sollten nach seiner Ansicht mehr Mittel in den Bereichen Wissenschaft und Forschung investiert und Ausgaben für die Agrarpolitik gekürzt werden. Auch die Erschließung eigener Finanzquellen regt Marterbauer an.
Eine dieser möglichen Finanzquellen behandelt der Text von Wilfried Stadler und Uta Pock. Beide diskutieren das Für und Wider einer Bagatellbesteuerung von Devisentransaktionen („Tobin-Tax light“). Zusammenfassend kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass eine solche Steuer eine gute Quelle zur Finanzierung gesamteuropäischer Aufgaben darstellen würde. Weitere Beiträge befassen sich mit der besonderen Rolle von kleinen und mittleren Unternehmen in Europa, mit der Wettbewerbsfähigkeit Europas sowie dem EU-Innovationssystem.
Zumindest zwei „Schönheitsfehler“ weist der Sammelband auf, und diese müssen in erster Linie dem Herausgeber angelastet werden. Zum einen enthält das Buch am Ende einen Beitrag mit dem Titel Welches „European Institute of Technology“? den Hödl selbst verfasst hat. Warum der Text unter der Rubrik „Anhang“ ´firmiert, wird nicht erklärt. Zum anderen enthält das Buch mit dem Aufsatz KMU Internationalisierung und mittestandskonforme Politikformulierung einen Text, der sich im Großen und Ganzen als Spiegelstrichaufzählung präsentiert, illustriert durch einige Tabellen. In dieser Form hätte der Text, der kaum verständlich ist, nicht publiziert werden dürfen, oder der Herausgeber hätte eine angemessene Überarbeitung anmahnen müssen.
Trotz dieser Mängel ist der Sammelband Aspekte einer europäischen Wirtschaftsordnung durchaus geeignet, sich einführend und kritisch mit der Entwicklung des europäischen Wirtschaftsmodells und seiner zunehmenden Orientierung an den USA auseinanderzusetzen.
RezensentIn: Kai Eicker-Wolf
Erschienen bei Metropolis Verlag 2006, 22,80 Euro.
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