Philippe Lacoue-Labarthe:
Die Nachahmung der Modernen
Typographien II
In seiner Lektüre von Diderot, Hölderlin, Nietzsche, Heidegger, Derrida und Loytard sucht der Autor eine Antwort auf die Frage nach dem Begriff der Mimesis im Denken der Modernen
Eine Erschütterung, ein Beben, gewaltige Seismen, auf die man eigentlich in Kalifornien spezialisiert ist. Ihren Ursprung nehmen sie am Théâtre National de Strasbourg, wo ein Philosoph die Antigone von Sophokles- Hölderlin ins Französische übersetzte und mitinszenierte, Philippe Lacoue-Labarthe. Seine Arbeiten sind in der Engeler Edition erschienen, für den deutschen Leser Herausforderung und Spiegelung zugleich. Die Vorträge schließen einen Bogen von Diderot und Hölderlin, Nietzsche und Heidegger, bis uns näher, Derrida und Loytard. Warum ist Hölderlin, der die Spannungsbögen seiner Tragödien gelegentlich in spröde mathematische Formeln goß, der im Turm zu Tübingen sich am Ende nicht der Besten psychischen Verfassung erfreute, für den deutschen Leser so interessant? Und warum haben Nietzsche und Heidegger sich so eindeutig auf ihn bezogen?
Weder Feldwege, noch Holzwege, keine Umwege, kommen wir gleich zu Heidegger. Bei ihm laufen all die schönen griechische Mythologien zusammen, diese romantischen Griechen, von denen der Nazi-Rektor so viel von Hölderlin erfahren hatte (der fiktive Briefwechsel, den der Mitkämpfer für die Freiheit Griechenlands gegen die Türken, Hyperion, mit seinem deutschen Freund Bellarmin führt). Pathos, Eros, Verzweiflung an der Welt, alles da was pubertierende Jugend begehrt. Der sei es verziehen, alten Eseln nicht!
Hölderlin schrieb an der Schwelle zum 19. Jahrhundert, es kündigte sich an, was man später die Moderne nennen sollte. Literaturwissenschaftlich angesiedelt irgendwo zwischen Klassik und Romantik, einem Nichtort, jedenfalls schwer zu verortendes Terrain. Seine Verehrung für das antike Griechenland zieht sich durch sein gesamtes Werk, von den Gedichten bis zu den Tragödien. Lacoue-Labarthe: „Mit ungleich größerer Gewalt als bei Friedrich Schlegel, wird das Griechenland, das Hölderlin erfindet, die deutsche Phantasie in ihrem Grund bis heute unaufhörlich heimsuchen, und jedenfalls den gesamten philosophischen Text, von Hegel über Nietzsche bis zu Heidegger, durchlaufen“. Schon ein wenig Ironie, wenn heute in Deutschland die Kinder derer, die einst als Gastarbeiter aus dem so geliebten Griechenland kamen, ihren (deutschen) Landsleuten den Spiegel vorhalten. Der Autor und Psychologe Mark Terkessidis beschrieb unglaublich humorvoll, wie Heidegger 1962 von der Reling eines Kreuzfahrtschiffes auf Korfu blickte, alles mutete ihn italienisch an, gar nicht so wie er es von Hölderlin kannte, er beschloß also an Bord zu bleiben (Globalkolorit. Das Land der Griechen mit dem Körper besuchen. Hannibal Verlag, 1998). „Fünf Jahre später das Gleiche noch einmal“. Schuldbewußt schrieb er an Erhard Kästner: „Es wird wohl so bleiben, dass ich einiges von Griechenland denken darf, ohne es zu schauen‘“. Wer aber „groß denkt, muß groß irren“, wie Heidegger in „Aus der Erfahrung des Denkens“, Pfullingen 1954, einräumte (Zitate alle in Anführungszeichen und für den Gegenleser eindeutig zu erkennen). Wissenschaftler, auch wenn sie Philosophen sind, seien also auch nur Menschen. Soll das etwa beruhigend klingen? Was aber hat in Heideggers Denken sein politisches Engagement von 33 ermöglicht, oder jedenfalls nicht unterbunden? Das einzige in seinem Denken, was er übrigens nicht wieder verworfen hat, in einem Spiegelgespräch, das auf seinen Wunsch hin erst nach seinem Tod veröffentlicht wurde: Die Rektoratsrede!
Kann man „mit Heidegger, gegen Heidegger denken“, wie es Habermas 1987 vorgeschlagen hat, im übrigen dem Vordenker brav folgend? Ist es (sein Denken, ein Neutrum, wenn auch nicht neutral) nicht völlig eingeschlossen im Zangendruck der Geschichte „eines metaphysischen Volkes, in der Zange zwischen Amerika und Russland“? Selbst Heideggers „Kehre“, die mal für dies, dann für jenes stand, war durchsetzt von einer reaktionären Ideologisierung von „Haus und Hof, der bäuerlichen und handwerklichen Ökonomie und der Scholle“, ein wenig Bauernschläue und jede Menge Mythen. Lacoue-Labarthe: „Die folglich zu einem ziemlich scharfen, reaktiven und reaktionären Protest gegen die Moderne insgesamt neigt (nicht nur gegen alle Formen der Entwurzelung, der Irre, der Befremdlichkeit und der Verwüstung, sondern auch, in den schwächsten Momenten, gegen die Technik im Sinne der Industriealisierung, die Städte, die Massenkultur, die Medien, usw.)“. Ein Denken also, das auch nach Niederlegung des Rektorats knapp ein Jahr später, weiterhin durch „Aufruf zum Arbeitsdienst“ und den berüchtigten Nachruf „Zum Tode Leo Schlageters“ auf sich aufmerksam machte. Das einzige was ihn von der Nazi-Ideologie trennte, war deren offizielle Rassenideologie, ihren Antisemitismus und Biologismus. Ist das genug, oder nur eine hauchdünne Grenze, kann man es also wieder denken? Philippe Lacoue-Labarthes Argumentation ist schlüssig und konsequent, da er ausführlich zitiert auch für den Laien nachvollziehbar. Ein wichtiges Buch!
RezensentIn: Adi Quarti
Erschienen bei T. Urs Engeler Editor 2003, 24,00 Euro.
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