Martin Birkner/ Robert Foltin:
(Post-) Operaismus
Von der Arbeiterautonomie zur Multitute. Geschichte und Gegenwart, Theorie und Praxis
Ein weiterer Band in der Reihe "theorie.org": Das Buch befasst sich mit Geschichte und Theorie des Operaismus, einer der spannendsten Phase der Arbeiterbewegung
Die Reihe theorie.org des Schmetterling Verlag ist sehr erfolgreich damit, die Denkmodelle und Abgründe des Marxismus und Linksradikalismus auszuleuchten. In der aktuellen Ausgabe, mit dem Untertitel "Von der Arbeiterautonomie zur Multitude. Geschichte und Gegenwart, Theorie und Praxis", wird der Bogen ziemlich weit geschlagen, gelegentlich auch überspannt. Die Autoren, die im übrigen Mitarbeiter der sehr interessanten österreichischen Zeitschrift Grundrisse sind, untersuchen ein Kapitel der italienischen marxistischen Diskussion und Praxis, welche den Arbeiter und den Klassenkampf der ‘60er Jahre in den Mittelpunkt stellte. Birkner / Foltin behandeln diese Etappe auch mit der nötigen Genauigkeit, ihren Brüchen und Verwerfungen, gehen aber dann dazu über, die Geschichte bis heute zu spinnen.
Contra: Hier wird es schwierig, werden doch Signatur, Ereignis und Kontext, wie die Sprachphilosophen es nennen würden, nun völlig ausgeblendet. Ohne sentimental oder nostalgisch die Fabrikkämpfe bei Fiat verklären zu wollen, was haben die mit denen in Seattle und Genua zu tun? Und wie gehen nicht näher definierte Poststrukturalisten, Derrida, Foucault und einige andere, mit dem Empire von Hardt/Negri zusammen? Warum blenden die Autoren diese bekannte Auseinandersetzung (Marx & Sons, 2004) einfach aus? Diesen Knoten, eine netzartige Verstrickung, dieses Rhizom (Deleuze/Guattari) endlich aufzulösen, wäre Aufgabe einer Analyse. Man sollte es sich hier nicht zu einfach machen: Leichtfertig eine ziemlich lange, von deutlichen Umbrüchen und Verwerfungen gezeichnete Etappe glattbügeln zu wollen, um einen - wie auch immer gearteten- Konsens nicht zu gefährden, dass kann nicht klappen. Und geht außerdem über die Arbeiten derjenigen Wissenschaftlerinnen die neuere sozioanalytische Untersuchungen liefern, die moderne Gesellschaft in Ansätzen zu verstehen (die Rede ist hier natürlich von den Arbeiten der Forschergruppe um Schultheis / Bourdieu), mit einer Dreistigkeit hinweg, die nachdenklich machen müsste.
Pro: Dieser Einwand scheint doch etwas überzogen. Die Grundlagen und Weiterentwicklungen des Operaismus werden überzeugend beschrieben. Das einige Arbeiten zu diesem Thema zu kurz kommen, oder gar nicht behandelt werden, würde unter Umständen auch den Rahmen sprengen, hier soll schließlich keine Enzyklopädie geliefert werden. Das andere können Diskussionen klären.
Contra: Eine Debatte im übrigen, die in Frankreich sehr wohl geführt wird, sogar in einer der letzten Nummern von futur antérieur in einer Runde mit Boltanski, Castell, Boutang, Gorz und anderen. Marx‘ Maschinenfragment, auf welches die Autoren zu Recht verweisen, welches die Entwicklung der Produktivkräfte und die technologische Entwicklung des Kapitalismus weit skeptischer beurteilen, als dies Marxisten gewöhnlich wahrnehmen wollen, kann allerdings auch à la Heidegger gelesen werden. "Die Technik in ihrer planetarischen Dimension ist das Negativ, im photografischen Sinn, dieses möglichen Ereignisses, dieser erhofften oder erwarteten Katastrophe. In ihr, und ausgehend von ihr, muß man sie erwarten" ( Philippe Lacoue-Labarthe, Die Nachahmung der Modernen, Basel / Weil am Rhein / Wien, 2003). Man ahnt es schon, wir stehen vor einem grundsätzlichen Dilemma: Wie ist ein technischer Fortschritt zu bewerten, der heute in Nanometer gemessen wird? Der die alten Nationalstaaten zur Welt hin öffnet, gleichzeitig die darin agierenden auf Ausbeutungsverhältnisse vergangener Zeiten zurückwirft. Und: Religiöse Fundamentalismen aller Schattierungen an die Oberfläche spült. Diese Art von futur antérieur ist bereits im Titel einer sehr anspruchsvollen französischen Zeitschrift enthalten, in der Hardt/Negri publizieren, ein Wortspiel, welches die Vorzukunft der Nachträglichkeit – und damit ein Paradox - bezeichnet.
Ein älterer Brahmane: Unsere Zukunft wird darin bestehen, einst auf die grossen Erzählungen zurückzublicken, die uns Zukunft versprachen.
Contra: Das die Theoretiker des Empire sehr großes Vertrauen in Metaphern und Theorien haben, dagegen die empirische Gültigkeit ihrer Argumente systematisch vernachlässigen (Berlin 2003), hatte schon der amerikanische Sozialwissenschaftler Giovanni Arrighi festgestellt. Antonio Negris zwei Spinozas, diese doppelte Realität des Denkens Spinozas, seine Doppeldeutigkeit, von der in Die Wilde Anomalie (Berlin 1982) ständig die Rede ist, steht jenem Determinismus entgegen, der ewigen, zeitlosen Welt, wie Gott sie sieht, von der Bertrand Russel in seiner Philosophie des Abendlandes (München/Wien 2000) schrieb, der sich ansonsten aber sehr anerkennend über das Werk Spinozas äußerte.
Pro: Wenn das Buch dazu beiträgt, den Eklektizismus von Hardt/Negri zu überwinden und der Optimismus ansteckend wirkt, mit dem die Autoren zu Werke gehen, wäre schon viel gewonnen. Die Details können dann Diskussionen klären, zu denen sie beigetragen haben.
Anmerkung: Die Beiträge spiegeln das Meinungsbild innerhalb der Redaktion der SZ wieder.
RezensentIn: Adi Quarti
Erschienen bei Schmetterling Verlag 2006, 10,00 Euro.
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