Werner Rügemer:
Privatisierung in Deutschland
Eine Bilanz
Werner Rügemer, so gut, wie man ihn kennt: er zeigt auf, wie Privatwirtschaft und korrupte PolitikerInnen Staat und Gesellschaft ausnehmen
Die öffentlichen Kassen sind leer - dieses Credo bekommen die Menschen hierzulande beständig um die Ohren gehauen. Gerechtfertigt wird damit einiges: Abbau sozialer Leistungen, Aufbau staatlicher Repressions- und Überwachungsmaßnahmen und vieles mehr. Nicht zuletzt die immer mehr um sich greifenden Privatisierungen in den verschiedensten Bereichen sind eine Folge der angeblich so leeren Kassen. Diesen neueren Prozessen der Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und Privatunternehmen widmet sich Werner Rügemer in seinem Buch "Privatisierungen in Deutschland", das mittlerweile binnen weniger Monate in der dritten Auflage erschienen ist. Es behandelt Fälle auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene, der Schwerpunkt liegt auf Deutschland.
Unter Privatisierung versteht Rügemer die Zusammenarbeit von öffentlicher Hand und privaten Kapitalien in Bereichen, die bislang dem staatlichen Handeln vorbehalten waren. Beispiele, die er anspricht, sind zahlreich: das so genannte Cross Border Leasing, die Gründung privatrechtlicher Gesellschaften mit ganz oder teilweise öffentlichem Kapital, der Verkauf staatlicher Unternehmen (wie z.B. Wohnungsgesellschaften, Wasser-, Gas- und Stromversorger) an Finanzinvestoren oder Unternehmen sowie der Verkauf staatlicher Unternehmen seien hier beispielhaft genannt, ohne auch nur annähernd die empirische Breite erfassen zu können, die Rügemers Analyse erreicht.
Für den paradigmatischen Ausgangspunkt der neueren Privatisierungen hält Rügemer die Privatisierungspolitik der Treuhand. Die Behauptung vorschiebend, das Produktivkapital der DDR sei veraltet und wertlos, die Produktivität gering, wurden Unternehmen massenhaft an westliche Konkurrenten verscherbelt. Mit Subventionen versehen, kauften diese unter geringem Kapitaleinsatz die Ost-Unternehmen auf, um sie nach Ablauf einer kurzen Schamfrist dichtzumachen und so lästige potentielle Kandidaten loszuwerden. De facto ist die frühere DDR heute die verlängerte Werkbank des Westens: ohne eigene Forschung werden dort hochsubventioniert Güter produziert, die anderswo entwickelt wurden und deren Gewinne anderswo eingestrichen werden.
Einen besonderen Schwerpunkt bilden Entwicklungen auf kommunaler Ebene. Auch in der kommunalen Selbstverwaltung, die eigentlich die Keimzelle einer bürgerlichen Demokratie darstellen soll, treibt der Geist der Privatisierung sein Unwesen. Unter propagandistischen Schlagworten wie dem der "Public Private Partnership" werden zwischen Kommunen und Unternehmen Verträge ausgehandelt, die in aller Regel geheim (und damit demokratisch nicht mehr kontrollierbar) sind, die sehr häufig gegen eine ganze Reihe von Gesetzen verstoßen, die nur durch offene oder verdeckte Bestechung kommunaler Amtsträger zu Stande kommen und, was das Schlimmste ist: die den Kommunen langfristig vielfach überhöhte Kosten verursachen. In den seltenen Fällen, in denen die Vorgänge um solche Verträge öffentlich wurden, offenbarte sich ein Sumpf aus Korruption, Lügen, mangelndem Demokratieverständnis und Arroganz der Herrschenden.
Die Versprechungen, die im Rahmen solcher kommunal-privater Zusammenarbeit gemacht wurden, wurden nur in den allerseltensten Fällen gehalten: von sinkenden Wasser-, Strom-, Abwasser- usw. -Preisen kann nirgends gesprochen werden. Ganz im Gegenteil stiegen, um die garantierten Gewinnmargen der Privaten von zehn oder mehr Prozent finanzieren zu können, die von BürgerInnen zu bezahlenden Gebühren und Steuern nach kurzer Zeit stark an. Die zukünftig zu erwartenden Kosten werden zudem horrend sein, führt man sich vor Augen, dass die Bereitschaft der Privatunternehmen, in die Infrastruktur zu investieren, kaum vorhanden ist.
Was schon auf kommunaler Ebene nicht funktioniert, funktioniert auch auf staatlicher Ebene nicht. Die Privatisierung von Post, Telekom und Bahn war gleichfalls mit den tollsten Versprechungen verbunden, von denen die allermeisten nicht gehalten wurden. Der Service wurde rapide verschlechtert, lange Warteschlangen wie zu DDR-Zeiten sind die Regel. Die Infrastruktur, gerade im Bahnbereich, verfällt oder wird aber stark zurückgebaut - teilweise unumkehrbar.
Ein besonderes Bonmot staatlicher Privatisierungskünste stellt dabei gewiss Volkswagen dar. Das dortige frivol-korrupte Co-Management des Betriebsrats ist historisch eng verbunden mit den Bedingungen, unter denen das ehemalige Staatsunternehmen unter den Nazis gegründet und in den bundesrepublikanischen Jahren langsam privatisiert wurde. Dass die Beschäftigten davon nicht profitiert haben, sondern ganz im Gegenteil zu Versuchskaninchen neuer kapitalistischer Ausbeutungsmechanismen wurden, bedarf wohl keiner Erwähnung.
Die Bilanz von Privatisierung, die Rügemer zieht, fällt vernichtend aus: so gut wie immer untergräbt sie demokratische und rechtsstaatliche Standards, so gut wie immer kommen die Verantwortlichen ungeschoren davon, so gut wie immer verschärfen sie die angespannte Situation der öffentlichen Haushalte, so gut wie immer profitieren alleine die privaten Kapitalien, und so gut wie immer ist sie mit einer Verschlechterung der Leistungen für die Öffentlichkeit verbunden. Rügemer untermauert dies überzeugend anhand einer enormen Fülle empirischer Beispiele. Dass sein Buch darüber hinaus auch für Laien (wie den Rezensenten) sehr gut zu lesen ist, rundet es ab und macht es besonders wertvoll. Es sei allen empfohlen, die den gängigen Lügen und Versprechungen nicht mehr glauben möchten, sondern mit guten Argumenten und empirischen Beispielen gegen das Ausbluten von Staat und Gesellschaft kämpfen möchten.
RezensentIn: Jan Peter Althoff
Erschienen bei Westfälisches Dampfboot 2006, 24,90 Euro.
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