Hans J. Degen/ Jochen Knoblauch:
Anarchismus
Eine Einführung
Eine Einführung in den Anarchismus, die zur kritischen Auseinandersetzung mit dieser wichtigen linken Theorieströmung anregt
Oftmals wird Anarchismus oft als etwas Theorie und Geschichtsloses angesehen. Anarchistische Praxis wird oft mit Gewalt und Terror gleichgesetzt. Im gesellschaftlichen Diskurs wird Anarchismus oft mit Chaos und Barbarei gleichgesetzt (In den Nachrichten: Im Irak herrscht Anarchie). Dem liegt ein vollkommen falscher Begriff von Anarchismus zugrunde.
Für diejenigen, die sich einen richtigen Begriff von Anarchismus erarbeiten wollen, ist das Buch “Anarchismus - Eine Einführung” von Hans-Jürgen Degen und Jochen Knoblauch gedacht. Auf den ersten Seiten definieren die Autoren, was Anarchismus ist. Hierbei wird schnell deutlich, dass die Gleichung "Anarchie gleich Chaos und Gewalt" nicht stimmt. Dafür ist der Anarchismus eine viel zu vielschichtige und komplexe Denkrichtung.
Auf den nächsten 40 Seiten gehen die Autoren auf verschiedene “Klassiker” ein. Unter Klassiker verstehen die Autoren Menschen, die entweder Grundlagen anarchistischer Theorie erarbeitet haben oder die für heutige Anarchisten für Bedeutung sind. Zu jedem dieser Menschen gibt es einen kurzen Lebenslauf, danach wird auf ihre Theorien und ihre Wirkung eingegangen. Leider geschieht dies ziemlich knapp. Anschließend wird auf 2 Seiten auf das grundsätzliche Klassiker-Problem eingegangen: Dieses liegt nach Meinung der Autoren darin, dass Klassiker ihrer Zeit verhaftet waren. Damit versuchen die Autoren die jeweiligen Schwächen der jeweiligen Klassiker zu erklären. Meines Erachtens ist dies ein falscher Ansatz, der schnell zu der Relativierung reaktionärer Tendenzen bei den anarchistischen Klassikern führen kann. So ist der Antisemitismus Bakunins durch nichts zu entschuldigen - auch nicht dadurch, dass er in einer Zeit lebte, in der Antisemitismus als akzeptiert galt. Bei Anarchisten, die den Anspruch hatten, alles in Frage zu stellen und Autoritäten zu verneinen, gibt es, noch weniger als bei anderen Menschen, eine Rechtfertigung für die Übernahme von Ideologien, die in ihrer Gesellschaft als normal gelten.
Absolut nicht nach zu vollziehen ist die Ansicht der Autoren, die amerikanische Anarchistin Emma Goldman sei zu feministisch gewesen. Gerade in einer von Männern geprägten und dominierten Welt ist eine starke feministische, anti-sexistische Position sehr wichtig.
Im nächsten Kapitel wird auf die theoretischen Grundlagen des Anarchismus eingegangen. Zuerst wird der Staatsbegriff der Anarchisten erörtert. Hierbei wird auf den, von Anarchisten analysierten, Unterschied zwischen bürgerlicher Demokratie und der “ allgemeinen Freiheit aller” eingegangen. Danach wird auf den Kapitalismus-Begriff der Anarchisten und ihre gegen Entwürfe eingegangen. Hier wird sehr schnell klar, dass es im Anarchismus keine einheitliche Definition vom Kapitalismus gibt. Die Einen wollen das Privateigentum an Produktionsmitteln abschaffen, die Anderen sehen das Hauptübel im Geld und im Zins. Letztere neigen oft dazu, eine personalisierte Kritik an gesellschaftlichen Zuständen zu üben, was in ihrer Kapitalismus-Definition seine Wurzel hat. Manche Anarchisten sahen das Mittel zur Bekämpfung des Kapitalismus in der Gründung revolutionärer Gewerkschaften. Um diese Strömung, dem Anarcho-Syndikalismus, geht es im nächsten Abschnitt. Anschließend wird auf die Haltung der Anarchisten zu Militarismus und der Gewaltfrage eingegangen. Die meisten heutigen Anarchisten lehnen Gewalt grundsätzlich ab. Es gab jedoch in der Geschichte mehrere Strömungen im Anarchismus, die Gewalt nicht vollkommen ablehnten. Bestes Beispiel hierfür sind die Protagonisten der "Propaganda der Tat". Diese Strömung, deren wichtigste Vertreter Johann (später John) Most, Bakunin und Reinsdorf waren, glaubten durch Anschläge auf Herrschende revolutionäre Zustände herbeiführen zu können. Reinsdorf zum Beispiel versuchte, den deutschen Kaiser in die Luft zu sprengen, was jedoch scheiterte. - Allen Anarchisten ist gemein, dass sie Militarismus ablehnen. Anarchisten waren zu jeder Zeit die schärfsten Kritiker des Militarismus, den sie als Inbegriff der Autorität auffassten.
Im nächsten Kapitel gehen die Autoren auf das Wirken der Anarchisten in der Zeit von der französischen Revolution bis zum Spanischen Bürgerkrieg ein. Zu jeder wichtigen Station der anarchistischen Geschichte gibt es einen kurzen Aufsatz. Besonders spannend ist der Text zur mexikanischen Revolution. Über sie ist heute innerhalb der deutschen Linken wenig bekannt.
An die Geschichte des Anarchismus schließt das nächste Kapitell “Neo-Anarchismus oder Neuer Anarchismus” an. In diesem Kapitel geht es um den Nachkriegsanarchismus. Anarchistische Theorien haben in verschiedene Bewegungen gewirkt. Beispiele hierfür sind die 68er, die Öko- und auch die Friedensbewegung.
Das abschließende Kapitel fällt eher dürftig aus. Hier werden nur Zitate aneinander gereiht, die in vielen Fällen sauer aufstoßen müssen. Es wird zum Beispiel nicht auf den, jenseits aller Polemik, ernstzunehmenden Inhalt der Kritik Marx’, Lenin’s und Trotzki’s am Anarchismus eingegangen.
Wer schon einiges über Anarchismus weiß, braucht dieses Buch nicht lesen, das meiste was in diesem Buch steht wird nicht neu für ihn sein. Wer sich jedoch bisher kaum mit Anarchismus auseinander gesetzt hat, dem kann dieses Buch als leicht zu lesende Einführung empfohlen werden, auch wenn es an manchen Stellen kritisch zu lesen ist.
RezensentIn: Sebastian Meyler
Erschienen bei Schmetterling Verlag 2006, 10,00 Euro.
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