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Büchertipps / Rezensionen



Titelbild
Walther L. Bernecker/ Sören Brinkmann:

Kampf der Erinnerungen
Der Spanische Bürgerkrieg in Politik und Gesellschaft 1936-2006

Der Sieg Francos im Spanischen Bürgerkrieg riss das Land in eine Agonie des schweigenden Kompromisses über den Umgang mit der eigenen Vergangenheit, aus dem es bis heute nicht erwachte




Nicht nur in der BR Deutschland ist es bis heute schwer, sich vor Augen zu führen, was in der Zeit des Nationalsozialismus wirklich geschah. Schwerer noch, sich dem Umstand zu stellen, dass und warum lange Zeit so wenig Interesse an der geschichtlichen Klärung der damaligen Ereignisse wirklich bestand. Immerhin hat in Deutschland die Offensichtlichkeit der Niederlage mit dem Nürnberger Prozess gleich nach 1945 eine gewisse rhetorische Abwendung vom Vergangenen erzwungen, wie sehr das auch Lippenbekenntnis geblieben sein mag.

In Spanien gab es weder eine schnelle Überwindung der Franco-Diktatur noch ihren plötzlichen und für alle sichtbaren Sturz, so, dass dieser allen als Niederlage des ehemaligen Systems offensichtlich gewesen wäre. Der Übergang von Franco zur Monarchie und der damit sich etablierenden gemäßigten Abart von Demokratie wurde so vorsichtig angegangen, dass es zu Denkmalstürzen und Gegen-Denkmalerrichtungen in der ersten Zeit nirgends kommen konnte.

Sören Brinkmann und Walther Bennecker gehen dieser Entwicklung in einem Band von 343 Seiten nach - die Anmerkungen nicht mitgezählt. Der Band enthält ebenfalls Abbildungen von Plakaten der republikanischen Seite, wie auch von den Prunkdenkmälern der Sieger.

Welche Betonplatte über Spanierinnen und Spaniern nach 1939 lag, ließ sich noch in den sechziger Jahren bei Besuchen erfahren. In einem kleinen Dorf bei Barcelona wussten damals noch alle von allen, auf welcher Seite sie gestanden hatten, aber gesprochen wurde davon von keinem. Blieb als einzige Rede der Bombast von Radio und Zeitung. Im Süden stieß man auf bettelarme Städtchen ohne eine einzige gepflasterte Straße. Aber über dem mittelalterlichen Stadttor prangte die Behauptung, dass Generalissimus Franco im Jahr x diese comunidad vor ”kommunistischen Horden” gerettet hätte.

An den Straßenecken boten die Invaliden des Krieges - auch die von der Franco-Seite - im öden Singsang Lotterielose an. Das war ihre Versorgung. Sonst im Landesinnern die riesigen unproduktiven Latifundien, die es schon in um 1900 und noch früher gegeben hatte. Amerikanische Wagen mit Spitzenvorhängen und Chauffeur fegten durch staubigste Straßen an Hüttensiedlungen vorbei. Das war die Realität, die Franco in den zwanzig Jahren seit 1939 nicht mehr verändert hatte.

Totenkult und Siegesfeier sollten die Armen ideell entschädigen für das, was sie nie bekommen hatten. Die Reichen aber waren zusammenzuhalten. Denn - nicht wie beim Hitlerfaschismus - gab es eine einzige Partei, die relativ einheitlich gegen innere Widersprüche das Regime zusammenhielt. Die FALANGE als Partei wurde von außen überschätzt, schließlich noch zu Francos Lebzeiten zurückgedrängt. Wirklich herrschende Organisationen waren das Militär und die katholische Kirche.

Auf die Rolle der Kirche gehen die Verfasser des ”Kampfs der Erinnerungen” ausführlich ein. Sie verweisen darauf, dass alle spanischen Bischöfe - außer zweien - von vornherein den Kampf der Francotruppen gegen die legale Republik Spanien unterstützten. Einmal wegen der betont laizistischen Einstellung der Republikaner und der offenen Kirchenfeindschaft der Anarchisten außerhalb des Baskenlandes, dann aber auch aus Antikommunismus und allgemeiner Linkenfurcht. Der Christkönigskult in den entsprechenden Bruderschaften schwappte in der Zeit der Krieges und nachher in katholische Kreise Deutschlands hinüber. Sie boten eine - aus heutiger Sicht - bedenkliche Kombination von Liturgie und Gotteskriegertum.

Past Pius XI, der sich in seinen Äußerungen noch neutraler zu halten versuchte, starb zum Jahresbeginn 1939. Pius XII schickte dagegen Franco zum 5. April, als der Krieg offiziell sein Ende gefunden hatte, eine Siegesgratulation, in der er ausführlich das Walten der Vorsehung pries, die erwiesen habe, dass die ewigen Werte der Religion und des Geistes über allem stehen. Das sollten sich vor allem die besiegten Anhänger des ”materialistischen Atheismus” hinter die Ohren schreiben (133/134). Einige undeutliche Passagen, die zur Barmherzigkeit gegenüber den Besiegten aufriefen, verfielen in dem Spanien sofort der Zensur, das - laut Franco - angeblich einen neuen Kreuzzug für das Christentum geführt und gewonnen habe.

Mit der Barmherzigkeit sah es entsprechend aus. Allein die Zahl der nach 1939 Gefangenen, die in Lagern als Zwangsarbeiter beschäftigt wurden, wird von den Autoren nach den besten Untersuchungen auf 400 000 geschätzt. Für die Massenerschießungen in und nach dem Bürgerkrieg fehlen immer noch genaue Zahlen. Zum Teil werden Massengräber erst jetzt - 2006 - ausgegraben und gründlich untersucht.

Am Widerlichsten war die Erklärung Francos, er habe in einem Gnadenakt die Gefängnis- oder Lagerhaft in eine Erziehungsaktion zur Arbeit umgewandelt. Photos zeigen, wie Häftlinge - in den selbstverständlich gleichgebliebenen Lagern - mit dem ”römischen Gruß” danken.

Die Franco-Regierung entwickelte einen ausgeprochenen Totenkult. Am bekanntesten die riesige Anlage nahe dem alten Königgschloss Escorial "Valle dos caidos" (Tal der Gefallenen). Mit seinem Riesenkreuz und dem dahinter angelegten Kloster heute noch ein Denkmal, dem die ehemals besiegte Partei nichts an die Seite stellen kann.

Alcazar - ein weiterer Ort des Märtyrerkults. In Form eines ewig währenden Hörspiels wird da vorgeführt der Heldenmut eines Obersten, der mit seinem gefangenen Sohn telephoniert. Die ”teuflischen” Republikaner wollen den General durch Morddrohung erpressen. Dieser bleibt stark und opfert den Sohn, der allerdings erst Monate später wirklich erschossen wurde. Alcazar aber wurde in letzter Stunde von Francos Truppen befreit.

Wochenschau, Zeitungen, Romane, Theaterstücke übten die ganze Franco-Zeit lang ihre eintönige Herrschaft aus.

Es gab zwar wirklich noch in den sechziger Jahren junge Spanier, die selbst im Ausland bei jeder Gelegenheit ”Patria” röhrten und bei Erwähnung ihres Heimatlandes im Fernsehen fast in Ohnmacht fielen. Aber für die Mehrzahl verlor sich der Zauber wie jedes andere Spektakel. Durchreisend roch man das Abgestandene, nahm Öde wahr.

Die Gegenbewegung nach 1975 unter dem neuen König ging - wie erwähnt - aus den erwähnten Gründen einen vorsichtigen Gang. Zunächst wurde die jährliche Siegesparade Francos umbenannt in ”Tag des Militärs.” Die aus dem Ausland wieder eingereisten Exilierten unterwarfen sich zum großen Teil der Sprachregelung, dass es bedauerlich sei, dass das Volk im Bürgerkieg so zerrissen war. Einfache Priester unterhalb der Bischofsebene erinnerten sich allmählich an die ganz anderen Traditionen des Christentums. Im Baskenland hatten Priester auf der Seite der Franco-Gegner gekämpft und wurden von den Kreuzzugstruppen Francos konsequent erschossen.

Vor allem die unter Franco unterdrückten Teilrepubliken wie Katalonien und das Baskenland ergriffen die Gelegenheit, im Kampf um die eigene Erinnerung zugleich die verlorenen Provinzialrechte zurückzuverlangen. Teile der Anarchisten versuchten, die alten Ziele Durrutis und der Barcelona-Gruppe im Akt des Erinnerns selbst neu einzuklagen. Ebenso weigerte sich Pasionaria, die aus Moskau heimgekehrte, bis an ihr Lebensende, sich dem versöhnlichen Kurs der spanischen Euro-Kommunisten anzuschließen.

Insgesamt macht der zweite Teil des Buchs de Eindruck, dass zwar Straßennamen geändert und Gräber geöffnet wurden, dass aber den vereinigten Sozialisten, Kommunisten, POUM-Leuten und Anarchisten nichts blieb als das ehrende Gedenken, nicht aber die bewusste Aufnahme ihrer Ziele ins gegenwärtige Bewusstein und als aktuelles Vorhaben von Politik. Suchsland fasst in TELEPOLIS in einer Meldung den Stand der Dinge zusammen, wie die sozialistische Regierung Zapatero ihn im April 2006 den Augen der Öffentlichkeit darbietet: ”Das neue Gesetz sieht die Rehabilitierung der Gewaltopfer auf beiden Seiten vor - wobei jedem, Kritikern wie Verteidigern, klar ist, dass es sich dabei im Wesentlichen um Opfer unter den Republikanern handelt. Pensionszahlungen und Entschädigungen werden erhöht, und die Gräberöffnungen werden von der Regierung unterstützt, auch finanziell. Künftig dürfen auch die zuständigen Verwaltungen der Suche keine Steine mehr in den Weg legen. Alle verfügbaren Archive, die zur Aufklärung der Vergangenheit dienen,

sollen zugänglich gemacht werden.

Im 'Tal der Gefallenen' sind überdies jene für Spanien so peinlichen politischen Veranstaltungen der letzten offiziellen Franco-Anhänger in Zukunft verboten. An öffentlichen Orten müssen alle politischen Symbole, Inschriften und Denkmäler, die nur einer der beiden Bürgerkriegsparteien gedenken, entfernt werden - in der Praxis bedeutet dies zwar die Beseitigung aller franquistischen Symbole an staatlichen Gebäuden, deren es peinlicherweise noch viele gibt, es ist damit aber auch eine Konzentration auf die Opfer unter den Verteidigern der Republik künftig schwerer, werden Faschisten und Republikaner zumindest formal gleichrangig behandelt. Ein typisch spanischer, symptomatischer Kompromiss, der es keinem künftig recht macht. Doch das Vergessen lässt sich auch in Zukunft nicht verordnen. Auch das neue Gesetz ist noch nicht das abschließende Wort über Spaniens Vergangenheit. Es ist eindeutig: Nach 70 Jahren muss sich auch Spanien jetzt allen unangenehmen Wahrheiten stellen.”

(PS: Die aktuelle Stattzeitung für Südbaden 67 enthält den ausführlichen Augenzeugenbericht eines Teilnehmers am Bürgerkrieg aus Strasbourg.)

RezensentIn: Fritz Güde

Erschienen bei Verlag Graswurzelrevolution 2006, 20,50 Euro.


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