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Büchertipps / Rezensionen



Titelbild
Sabine Kebir:

Helene Weigel - Abstieg in den Ruhm
Eine Biographie

Sabine Kebir schildert die Geschichte der künstlerisch-intellektuellen Symbiose von Helene Weigel und Bert Brecht als trotz allem geglücktes Arbeitsverhältnis




“Die Mutter” und “Mutter Courage”- um Produktion und Inszenierung dieser beiden Stücke herum hat Sabine Kebir das Leben der Helene Weigel konstruiert. Anhand des Stücks nach Gorki - 1932 nur noch zu wenigen Aufführungen gelangt - entdeckt Brecht sich selbst und zugleich all das, was in Helene Weigel steckte. Sie selbst erzählt Werner Hecht im Rückblick, keineswegs habe Brecht wie bei späteren Werken ihr die Rolle auf den Leib geschrieben,

"Es stellte sich erst bei den Proben heraus, dass ich mit der Rolle etwas anfangen konnte... Erst bei diesen Proben hat er eine andere Meinung von mir als Schauspielerin bekommen: der Humor, die Wärme, die Freundlichkeit, das sind alles erst Entdeckungen, die wir bei der Rolle der Wlassowa machten. Das war auch für Brecht überraschend” (81).

Erst jetzt, zu Beginn der dreißiger Jahre, meint Kebir, "kristallisierte sich eine Situation heraus, in der die vielen Nebenrollen der Erniedrigten und Beleidigten, mit denen die Weigel im bürgerlichen Theater brilliert hatte - Dienerinnen, Ammen, Mägde, Mütter, die ihre Kinder verlieren - zu einer Hauptrolle konzipiert werden konnten.”(80) Wenn nämlich, wie Lenin sagte, die Köchinnen das Regieren lernen sollten, mussten sie auch in Hauptrollen auf dem Theater präsent sein.

Brecht entwickelte an diesem Stück methodisch den Stil der Zurücknahme, des fast Lautlosen, der Abwehr der Verausgabung in Jammer, Weh und Ach - kurz den Stil, der seither unter dem Titel der “Verfremdung” firmiert. Weigel verkörperlichte das, indem sie ihre vielgerühmte Stimme zum Leisen zwang, bei größter Eindringlichkeit bis in die hinterste Stuhlreihe im Theater. Laut Kapitelüberschrift war sie als Debütantin in Berlin als lauteste Schauspielerin der Hauptstadt bekannt gewesen.

Ausführlich und genau führt Sabine Kebir aus, wie viel Arbeit diese Kunst der Zurücknahme zu ihrer Entwicklung verlangte. Es werden Gesten aus dem Leben und aus Bildern gesammelt, berühmten Hollywoodstars Gangweisen geklaut, um in ganz anderen Rollen wiedereingesetzt zu werden. Prägnantestes Beispiel: Der stumme Schrei (S.227) Brecht hatte in seine Kriegsfibel das Photo einer Frau in Singapur geklebt, die vor der Leiche ihres von einer Bombe getroffenen Sohnes hockt und aufschreit. Das Medium Photo ergibt erst die Reduktion des Ausdrucks auf die lautlose Geste, Weigel unterstreicht in Mutter Courage mit dem weitaufgerissenen Mund, dem kein Laut erlaubt ist, die Verknechtung der Mutter, die ihren toten Sohn Schweizerkas nicht beklagen, nicht einmal wiedererkennen darf. Ihr Geschäft steht auf dem Spiel. Im Courage-Film von 1960 wirkt gerade dieser Augenblick am erschütterndsten.

Dies zeigt, dass Verfremdung und “episches Theater” nicht auf Fühllosigkeit hinauslaufen. Brechts Polemik gegen den “Einfühler “ richtet sich nicht gegen das Gefühl an sich, sondern gegen die Verschwendung des Mitleids an die einzelne, zufällig herausgefischte Frau - während es doch die allgemeine Lage umfassen sollte.

In der Gemeinsamkeit einer Arbeit, in der sich beide fortwährend selbst entdeckten in immer neuen Entwicklungsmöglichkeiten, sieht Kebir das Bleibende zwischen Brecht und Weigel, über allen Wechsel der Neigung und die Ermattung des Begehrens hinaus. Sie liehen einander immerfort und wechselseitig ein Selbst aus.

Zur inzwischen breit diskutierten Frage des Marxismus der beiden (vergl. ”Brecht beim Visagisten...”, Ausgabe 67 der Stattzeitung für Südbaden) trägt Sabine Kebir einiges bei. Dass Helene Weigel die treibende Kraft bei der Wendung zum Sozialismus gewesen sein könnte, stellt Kebir als möglich hin. Sie habe, heißt es in einer späten Gesprächsnotiz, Brecht an die Bücher - die marxistischen ”Klassiker” - gehetzt, und über denen sei er dann öfter gesessen, als ihr lieb war, fügt sie schelmisch hinzu. Zugleich scheint sie laut ihrer Biographin mehr an der realen Bewegung interessiert gewesen zu sein als persönlich an diesen Büchern. Was noch einmal beweist, dass Marxismus nichts ist, was aus Büchern in uns klettert, sondern etwas, das wir in tätigem Umgang uns aneignen. Und dass es Helene Weigel an Argumentationskraft im linken Umfeld niemals fehlte, hat sie nicht zuletzt in den Auseinandersetzungen der DDR-Zeit vor Augen geführt, als sie den Formalismus-Quenglern gegen Brecht kräftig in die Parade fuhr.

Dass Brecht und Weigel nicht blind in die DDR gestolpert sind, macht Sabine Kebir unmissverständlich klar. Schon seit den Prozessen ab 1937 in der UDSSR kannten beide ihre hochverdächtigen Pappenheimer. Das Paar wählte, aus dem US-Exil zurückgekehrt, unter dem Angebot, dem gerade Möglichen. Sie sahen die Ansätze und versuchten sie vorwärtszutreiben. Dass marxistische Schulung noch kein Heilmittel ist gegen selbstaufgesuchte Beschränktheit, musste sie spätestens dann lernen, als Ulbricht persönlich Brechts Urfaust-Bearbeitung und Eislers Faustoper angriff. Das “kulturelle Erbe” werde verhunzt, hieß es. Ulbricht fand die proletarische Wohnküche erst behaglich, wenn keiner nebenan die “gut Stubb” durcheinander brachte. Nichts gegen Wohnküchen, aber dann soll man sie auch so nennen. Peter Weiss hat weltumschweifende Gespräche in seiner “Ästhetik des Widerstands” in solchen Küchen stattfinden lassen. Noch die nackte Glühbirne in Picassos GUERNICA stammt ihm von daher.

Falsch trotz allem Reich-Ranickis scheinwissendes Statement im allerletzten Literarischen Quartett: Brecht wäre liebend gern nach Grönland gegangen, wenn die ihm dort ein deutschsprachiges Theater zu bieten gehabt hätten. R-R operiert Theater aus allen gesellschaftlichen Zusammenhängen heraus, also gerade aus dem, woraus Brecht und Weigel lernten und das sie beinflussen wollten. Weigel als Intendantin des Theaters am Schiffbauerdamm und Brecht, sie griffen dort ein und an, wo noch am meisten Hoffnung versammelt war, nicht anders als Stefan Heym, Arnold Zweig und Ludwig Renn.

Nach Brechts Tod verteidigte Witwe Weigel ihr Theater und den schriftlichen Nachlass Brechts erfolgreich gegen die Tatzen von Staat und Partei. Schlau hatte schon Brecht einen Primär-Vertrag mit Suhrkamp geschlossen; der staatliche Aufbauverlag durfte nachhumpeln, musste aber nicht. Hochhumoristisch die Verlegenheiten der Verlags-Bürokratie bis hoch zum Politbüro, als es an den Nachlass ging, und Polizei-und Kulturspitzel den erbleichenden Abusch und Girnus und Gysi (senior) verrieten, dass da ganz unerfreuliche Sachen über 17. Juni und Sowjetunion ans Licht drängten. Fürsorglich wird sogar Verunglimpfung von Lukacs und Bloch besorgt, die beide schon damals von eben den Besorgten nach 56 bzw 61 in den Gespensterstand verwiesen worden waren.

Gegen alle Träumereien von den Bequemlichkeiten einer Diktatur, denen vielleicht gepeinigte Staatsmänner westlicher Observanz unter der Bettdecke nachhängen: diejenige der DDR blamierte sich außerordentlich. Da Suhrkamp fleißig veröffentlichte, trabte der Aufbau-Verlag immer offensichtlicher hinterher, ohne dass die geringste Aussicht bestand, lesekundigen DDR-Bürgern könnten die westlichen Texte auf die Dauer verborgen bleiben (Vor-Pisa-Zeit!). Zu eigenen Stellungnahmen hatte die zuständige Kulturwärterschaft schon nicht mehr die Kraft. Bekanntlich ging die DDR dann nicht an Brechts Kritik zugrunde, am ehesten noch an den Eigentümlichkeiten seiner Kritiker.

Zu Lebzeiten der DDR entwickelte sich Weigel zur heilsamen Nervensäge. Ob es um Kinderschuhe ging oder um Babynahrung in Fläschchen oder den Kitsch auf ostdeutschen Teppichen. Sie sägte - und sägte gerecht. Das Buch enthält nur die Zustimmung von Müttern der Kleinchen in Probeschuhen, nicht aus den oberen Rängen das tiefe Stöhnen von innen her: Oh Gott, die schon wieder. Sie mussten es leiden. Sonst wäre ihnen ihre Vorzeige-Schauspielerin zuguterletzt abhanden gekommen.

Es lassen sich nicht alle Details aus Weigels Leben aufzählen, von denen das Buch überquillt: nicht ihre wienerischen Kochwunderwerke, nicht ihre Möbeltischlerkunst, nicht ihre Kostümschneiderei, nicht ihre Technik, mit Brechts Nebenfrauen bei allen Schmerzen in ein erträgliches Verhältnis zu kommen. Nicht die tapfer durchgehaltenen 14 Jahre des Exils, in denen sie in ihren besten Jahren kaum eine Bühne betrat...

Zu erinnern aber ihre ersten Jahre in der Schule der Eugenie Schwarzwald in Wien, welche zur gleichen Zeit damals auch die spätere Frau Zuckmaiers besuchte, ebenso auch der spätere Theoretiker der Schulgemeinde, Bernfeld. Hier wurde, bevor das Wort Mode wurde, eine aktive Form von Feminismus nicht nur gelehrt, sondern vorgelebt, eine Haltung der Selbständigkeit in Erwerbs- und Liebesdingen, die später von Schwarzwalds Freundin, Karin Michaelis aus Dänemark, unterstützt und fortgeführt wurde. Sie, die so vielen Flüchtlingen geholfen hatte, endete selbst flüchtig, krank und ziemlich vereinsamt, in New York. Trotz allem “freundlich” geblieben im Sinne Brechts.

Es kam Sabine Kebir in der Betonung dieser Erziehung sicher auch darauf an, den Nachweis zu führen, dass Übergang zum Kommunismus nicht heißen kann und darf: alles vorige in die Tonne treten. Weigel und Michaelis zeigen, dass solcher Übergang vor allem eine Umsortierung der Vorräte verlangt, neue Ausrichtung des Überkommenen, Durchmusterung der Bestände auf ihre Brauchbarkeit hin für die Erneuerung einer Zeit. In den schlechten Jahren nach 1949 verwendete Weigel überschüssigen grünen Vorhangstoff fürs Theater zur Einkleidung von jungen Nachwuchs-Schauspielerinnen und -schauspielern. Durch Foyer und Kantine wimmelten grüne Heinriche und Hendriken. Den Einsatz für die Kleidung von Mitarbeitenden und deren Kindern in armer Zeit hätte Eugenie Schwarzwald aus ihrer humanistischen Sicht voll unterstützt. Wenn er jetzt zusätzlich den Charakter proletarischer Solidarität annimmt, verringert das nicht, sondern reichert an - durch Vermehrung dessen, was man sich dabei vorstellen kann.

Von “Mutter” zu “Mutter Courage” - ein weiter Weg. Sabine Kebir hat ihre Vorbehalte gegen das erste Stück, wie sie mehrfach ausspricht. Es wirke zu schlicht. Nur noch historisch. Argumente wie die der “Mutter” würden heute keine Arbeiterin mehr vom Fernseher locken. Dass Wlassowa im Stück selbst lernt, kann Sabine Kebir Brecht nicht mehr glauben. “Mutter Courage” und “Johanna der Schlachthöfe”, die unbelehrt bleiben, damit sie uns eine Lehre ermöglichen, einzig sie scheinen noch zeitgemäß.

Sabine Kebir ist in Berlin aufgewachsen und hat wohl die katechismusartige Einbläuung am eigenen Leib mitbekommen, die man in diesen Landstrichen als marxistische Schulung verabreichte. Sie hat den Widerwillen gegen das allzu Direkte, peinlich Offensichtliche, Eingehämmerte als Schaden fürs Leben weg.

Ganz anders im Westen. Angehörige der Jung-VVN Ortenau in Südbaden führten Szenen der “Mutter” 2005 beim Sommerfest der MÜHLE Renchen auf, die selben 2006 “Courage”. Während manche von der Unbelehrbarkeit der Courage befremdet waren, leuchtete stärker ein die Lehre der Mutter vom Einfachen, das schwer zu machen ist. Schwer zu machen - das wissen alle. Dass es aber einfach zu denken, darzustellen ist, überrascht und erleichtert. Es ist wie ein scharfgezogener Fliegerstreifen über das Firmament, ein Kreidestrich auf der Tafel, die Weg und Ziel als eindeutig vorzeichnen, unwiderlegbar. Also kann dieses älteste Stück noch einmal die neueste Bedeutung erlangen.

RezensentIn: Fritz Güde

Erschienen bei Aufbau Taschenbuch Verlag 2002, 10,00 Euro.


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