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Büchertipps / Rezensionen



Titelbild
Albrecht Müller:

Machtwahn
Wie eine mittelmäßige Führungselite uns zugrunde richtet

Müller legt nach dem Buch "Die Reformlüge" eine zweite Faktensammlung zur Berliner Politik vor. Er weist darin nach, dass Schwarz-Rot die verfehlte Politik von Rot-Grün fortführt - und steigert




Albrecht Müller, in der Ära Schiller/Brandt/Schmidt selbst im Regierungsgeschäft tätig, unterzieht vor allem die Zeit nach Schröders Abgang einer präzisen Prüfung. Wer seine ”Nachdenkseiten” im Internet kennt, wird auf viele alte Bekannte stoßen, die in der Zusammenstellung aber zusätzliches Gewicht bekommen und sich gegenseitig ergänzen und stützen. Sein Hauptvorwurf gegen das, was er parteiübergreifend die Führungselite nennt: es ist ihnen gelungen, mit Hilfe der Medien eine Sprachregelung durchzusetzen und eine Denkstruktur als unerlässlich hinzustellen, die den Gedanken gar nicht mehr zulassen, es könne eine andere Politik auch nur konzipiert werden. ”Alternativlos” eben.

Am Sprach-Karussell Christiansens etwa führt er aus, wie diese Veranstaltungen bei Null Informationsgehalt den Sinn haben, den Umkreis des Sagbaren genau abzustecken. Umgekehrt natürlich auch die Schwelle zu markieren, hinter der das total Lächerliche, Abseitige, ”Verrannte” beginnt. Damit ist grundsätzliche Kritik ins Irrenhaus ausquartiert.

Die Kritik Müllers, mit der er bei Christiansen nicht zum Zuge kommt, ist gar nicht so radikal, wie er vielleicht meint.. Müller beruft sich offen auf die Ansätze von Keynes, denen er unter Schiller selbst gefolgt ist. Und er - als damaliger Redenschreiber Schillers - war sicher am damaligen Sprachspiel beteiligt. ”Talsohle” - eine der besten Schöpfungen der Ära - suggeriert durch die Verklebung von Begriff und Bild, dass der Gewinnweg - wie bei jedem Tal - nach gewisser Zeit wieder von selbst in die Höhe führe.

Steht Müller damit auf der selben Stufe wie die von ihm Kritisierten? Er könnte zur Verteidigung vorbringen, dass zu Schillers Zeiten wirklich nur das Bild in der Sprache herrschte, während heute das medial vermittelte Bild - in Film, Fernsehen, Plakat und beim STERN - einfach überwältigt. Man stößt bei ”Du bist Deutschland” gar nicht mehr bis zu einem Begriffsinhalt vor. Erliege der Glotze - oder schalte ab und höre auf mitzureden. Da schmettern dich ganz andere Tonnen nieder.

Ausführlich behandelt Müller die verschiedenen Beeinflussungsorganisationen mit den Einpeitschern Miegel, Rürup und Biedenkopf. Sie tun, als wären sie Bürgerinitiativen von unten. Dabei sind sie Bürgererfassungen von oben.

Aufgezählt werden dann die käuflichen Nachwuchskräfte, die für den Eindruck sorgen, es stehe eine rebellische Jugend im Kampf gegen Schlendrian und ”verkrustete Strukturen”. Unser baden-württembergischer Vorzeige-Schnauber Oswald Metzger, inzwischen wieder in den Stuttgarter Landtag eingezogen, wird als besonders günstiges Schnäppchen der Vernetzer gepriesen.

Verdienstvoll Müllers häufiger Rückgriff auf einfache Rechenpraktiken, wie sie vor Einführung des Taschenrechners noch in allen Schulen gepflegt wurden. Dem ”demographischen Wandel” in seiner angeblichen katastrophalen Auswirkung auf die Renten rückt er mit dieser Methode an mehreren Stellen zu Leibe. Die bis in die Schulbücher einmarschierte Legende zeichnet immer mehrere Männlein in Reihe eins, die immer weniger werden, dafür aber immer mehr Alterchen in Reihe zwei auf den Schultern tragen. Folgerung: In irgendeinem Jahr müsste ein Verdiener zwei Rentner mitunterhalten - außer sich selbst und seinen Kindern. Da das nicht geht: selbst vorsorgen!

Eine riesige Herde wird damit den privaten Versicherungs-Anstalten zugetrieben, die das kapitalgestützte Rentensystem ganz anders absichern wollen. Davon abgesehen, dass Kapital an sich nicht arbeitet, dass es in der Krise, wie die USA beweisen, so anfällig ist, dass keine Rendite und damit keine Rente daraus entspringt, wird bei der Rechnung immer neu der Produktivitäts-Fortschritt ausradiert. Im Schwarzwald etwa, beim Leibgeding auf dem Bauernhof, unterhielt mehrere Jahrhunderte lang immer ein Hoferbe mit seiner Familie die eine Familie der Eltern. Da auf dem Hof in der Vormaschinenzeit kein großer Produktivitäts-Fortschritt zu erzielen war, lebten alle zufrieden in guten Erntejahren, alle schlecht bei Dürre oder Dauerregen. Auch wenn mehr Aktiv-Arbeiter auf dem Hof gewesen wären, wäre es den Alten nicht besser gegangen. Die Ertragskraft des Hofes bleibt entscheidender Faktor auch bei einem Verhältnis von 1:1 zwischen Ernährer und Ernährtem.

Bei den immensen Produktivitätsfortschritten heute ist klar, dass es noch weniger auf die Zahl der in einem gegebenen Jahr x tätigen Produzenten ankommen kann. Umkehrrechnung: Bei einer Bevölkerung wie zum Beispiel der Bangladeshs, wo viele Personen am oder unter dem Existenzminimum leben, hilft es den überlebenden Alten gar nichts, dass vielleicht zehn Menschen unter 65 auf einen darüber kommen. Wo nichts ist, hat der Rentenbeitrag sein Recht verloren. Wo ein vierzigjähriger nur mit letzter Kraft und eingeschobenen Fastenzeiten durchkommt, kann er nichts abgeben für Oma und Opa. Der ”demographische Wandel”, der derzeit für alles herhalten muss, gibt also für die Rentensicherheit am allerwenigsten her.

Insofern stellt Müllers neues Buch eine Materialsammlung dar, die unbedingt weiterzuführen und begrifflich zu vertiefen wäre.

Dass sein Begriff ”Elite” oder ”Führungselite” nicht gerade trennscharf ist, wird Müller als erster zugeben. Er dient offenbar als Hüllwort. Würde man nämlich statt Elite herrschende Klasse einsetzen, zeichnete sich augenblicklich mehr Kontur ab. Klasse - dabei gedacht nicht als ein gegebener Bestand von ”Reichen und Superreichen”, sondern als ein Zusammentreten von Verfügern über Produktions- und Kommunikationsmittel. Den zweiten Schritt schildert Müller dann ohne den Terminus völlig klar. Wie kommen zum Beispiel Grass oder Bischöfin Jepsen dazu, für Schröder oder Merkel Aufrufe zu unterschreiben, obwohl sie persönlich weder leidend noch profitierend an Hartz IV beteiligt sind? Durch die Struktur der Einbahnstraße. Der Ausweglosigkeit. Die Denkfäden, mit denen sich die wirklich Herrschenden zusammenschließen, werden gedehnt, um Nicht-Herrschenden das Gefühl auszuleihen, an der Herrschaft teilzuhaben. Schlichter gesagt: Jeder will ”in” sein. In einer Welt, der die Alternativen abgesägt wurden, schafft das jeder nur noch auf eine einzige Weise: Auf die des "Hurra!"-Brüllens für die Vorbrüller der monopolisierten Wirtschaft, die sich für die einzig freie auszugeben gelernt hat.

In diesem Licht würde sich freilich die Frage stellen: Wenn wir schon von Kapital und ”herrschender Klasse” sprechen, wo bleibt dann die Gegenseite - die Klasse derer, die nichts besitzen und alles produzieren? Wo deren Organisationen: Gewerkschaften und LINKS-Partei? Dass beide ebenfalls danach drängen, in der geschilderten Weise ”in” zu sein, und dass darauf ihre Unterlegenheit beruht, erwähnt Albrecht Müller zu selten. Das wäre dann dem sicher folgenden Band von 2007 als neuer Gegenstand anzuempfehlen.

RezensentIn: Fritz Güde

Erschienen bei Droemer Verlag 2006, 19,90 Euro.


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