Pierre Bourdieu/ Alain Darbel:
Die Liebe zur Kunst
Europäische Kunstmuseen und ihre Besucher
Was suchen die Besucher in den modernen Kunstmuseen? Wie kommt die Präsentation der Werke dem Betrachter entgegen, wo verhindert oder maskiert sie?
Was erwarten, bzw. was suchen die Besucher in den Tempeln der modernen Kunst? Wie kommt die Präsentation der Werke dem Betrachter entgegen, wo verhindert oder maskiert sie eher? Fragen, die in Zeiten eines boomenden Kunstmarktes, fast schon Rhetorik sind. Pierre Bourdieu und Alain Darbel haben schon vor vierzig Jahren eine großangelegte kultursoziologische Feldstudie erarbeitet, die nun auch im UVK auf deutsch veröffentlicht wurde, an der wie bei Bourdieu üblich, ein ganzes Forscherteam beteiligt war. Der spätere Theoretiker der „feinen Unterschiede“ macht in Befragungen und Erhebungen der Museumsbesucher in mehreren europäischen Länder deutlich, dass sowohl Präsentation der Werke, Führungen, aber auch eine unverkrampfte Stimmung in den Kathedralen der Kunst, sich sofort auf die Besucherzahlen niederschlagen. Was darüber hinaus sofort ins Auge springt: Polen war an dieser Vergleichsstudie beteiligt, Deutschland nicht. Ob Zufall oder nicht, offensichtlich war der „Eiserne Vorhang“ doch durchlässiger als die Rheingrenze im Kalten Krieg, wir werden darauf zurück kommen. Doch zunächst analysieren Bourdieu / Darbel gnadenlos die soziale Zusammensetzung der Museumsbesucher, die zwar vorwiegend sehr jung sind, aber pyramidal vom Ausbildungsabschluß abhängig und damit sozial determiniert ist. Für die Autoren ein eindeutiges Indiz für das Versagen der Schule, in deren Kunstunterricht meist nur praktische Übungen im Vordergrund stehen. Gerade in den Grundschulen einiger deutscher Bundesländer, diese Situation wird sich mit der sogenannten Föderalismusreform noch verschärfen, kommt das Fach Kunst einer Amtsanmaßung gleich, die oft genug von völlig fachfremden Pädagogen verbrochen wird. Die Entschlüsselung eines Werkes überfordert folglich oft den Betrachter, zu deren Bewältigung einer ganzen Reihe von Chiffren, Codes, Schulen, Stile, Epochen notwendig sind, kurz, eines Klassifikationssystems des Kunstsachverstandes. „ Derart wird klar, dass die Ästhetik nur und ausnahmslos eine Dimension der Klassenethik (oder besser, des Klassenethos) sein kann“. So wundert es kaum, wenn Angehörige der unteren Klassen in Befragungen zugeben, einer erklärenden Führung gerne teilnehmen zu wollen, während sogenannte Gebildete ein solches Unterfangen brüskiert zurückweisen würden. Pädagogische Hilfestellungen sind in den sakralen Einrichtungen der Museen durchaus sinnvoll, kein Wunder, dass zum Beispiel das Museum für zeitgenössische und moderne Kunst in Strasbourg solche Führungen sehr erfolgreich praktiziert. Ein anderes, hierzulande sehr beliebtes Vorurteil widerlegen die Autoren: Dass die Besucher am häufigsten die berühmtesten und durch die Schule am meisten sanktionierten Gemälde bevorzugen würden und umgekehrt - die modernen und zeitgenössischen Maler ablehnen. Offensichtlich eine Affinität zur Stuttgarter Staatsgalerie etwa oder zur Tübinger Kunsthalle, wo man sehr oft den Eindruck hat, dass hier einfach nur der Kanon abgefeiert wird. „Diesen Kulturfrommen, die sich dem Kult der geweihten Werke verstorbener Propheten hingeben, wie den Hohepriester der Kultur, die sich der Durchführung dieses Kultes widmen, stehen in allem, wie man sieht, die Kulturpropheten entgegen, die die Gewohnheiten der ritualisierten Inbrunst ins Wanken bringen, bis auch die Zeit für sie gekommen ist, ihrerseits durch neue Priester und neue Gläubige „veralltäglicht“ zu werden“.
Die Autoren plädieren im übrigen für eine offensive Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Museen, eine Botschaft, die dort inzwischen angekommen zu sein scheint. Ausserdem fordern sie eine Demokratisierung der Kultur und niederschwellige Angebote. Auch dieser Hinweis wurde etwa vom bereits erwähnten Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Strasbourg umgesetzt, mit jährlich stattfindenden Museumsnächten und musikalischem Rahmenprogramm (letztes Jahr mit DJ´s und Ambietmusik), die dann leider oft vollkommen überlaufen sind, oder durch freien Eintritt an jedem ersten Sonntag im Monat. Das Kunstmuseum in Basel und das Museum Tingueley haben dagegen ihre Pressearbeit an ein freies Journalistenbüro ausgelagert, welches sich Abart nennt und auch genau so arbeitet. Eine andere (sehr deutsche) Spezialität sind wild gestikulierende Aufseher, die ehrfurchtsvolle Distanz der Besucher abnötigen, von denen die Gästebücher so mancher Ausstellung im ZKM in Karlsruhe Bände sprechen. Aber immerhin gibt es hier sehr ambitionierte kleine, unabhängige Galerien, die vorbildlich arbeit leisten. Was ein wenig in den Hintergrund rückt, allerdings auch nicht Thema des Buches ist, ist der Kunstmarkt, der heute regelrecht explodiert. Gerade hier wird deutlich, wie sehr Bourdieu fehlt. Wenn man „Die Liebe zur Kunst“ zum Anlass nehmen würde, beispielsweise hier im Dreiländereck die Museumslandschaft zu untersuchen, würde schnell klar werden, wie die Arbeit des großen Soziologen zumindest Frankreichs Ausstellungslandschaft verändert haben. Eine deutsche Übersetzung war überfällig.
RezensentIn: Adi Quarti
Erschienen bei UVK 2006, 24,90 Euro.
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