Lorenz Knorr:
Aufklärung, Frieden, Antifaschismus
Ausgewählte Reden und Schriften
Aktuelle Analysen, geschichtliche Hintergründe und Erfahrungen: Eine Zusammenfassung des Lebenswerks des Friedensaktivisten Lorenz Knorr
Zum fünfundachtzigsten Geburtstag ist für Lorenz Knorr eine Auswahl seiner Schriften zusammengestellt worden unter dem Titel :“Aufklärung, Frieden, Antifaschismus.”Es finden sich darin Erinnerungen an den Kampf um die Verteidigung der CSSR gegen die Henlein-Truppe, Aufzeich- nungen über Sabotagemöglichkeiten als Funker,Bemerkungen über die Anfänge nach 45, die Terrorisierung der SPD unter Wehner, Gründung der Friedensunion, Mit- ins-Leben-Rufung der kurzatmigen Aktion DEMOKRATISCHER FORTSCHRITT und Bericht über Ostermarsch, Demos, Menschenketten, vergebliche Aufrufe zum Generalstreik - und alles im Kampf gegen den Krieg. Siebzig Jahre lang - von 1935 in Eger an gerechnet - bis heute - ohne nachzulassen.
Was all diesen Texten ihr Gewicht gibt: der Kampf, von dem sie berichten, war vergeblich. Er ist verloren. Im fünfundachtzigsten Jahr muss der rastlos Kämpfende erleben, dass der schon niedergeschlagen geglaubte Krieg sich erhebt und zur Selbstverständlichkeit wird. Kennzeichnend, dass in der Veranstaltung zur Vorstellung des Buches des Freidenkerverbandes im DGB-Haus in Frankfurt der eben abgelaufene Krieg zwischen Israel und Hisbollah nur beschwiegen werden konnte. Mit Recht - denn der Krieg trat nicht nur auf in brutaler Tatsächlichkeit, sondern hat auch alle Kategorien zu seiner Beurteilung von der Tafel gestrichen. Vor allem die des Verstoßes der einen oder anderen Seite gegen etwas, das Groß und Klein mit Füßen tritt: das Völkerrecht. Eben jenes Völkerrecht, auf das Knorr sich in den Texten des Bandes ein um das andere Mal beruft.
Um so vernichtender die Anklage gegen das abgelaufene Jahrhundert und das unselig heraufziehende - dass sie den unnachgiebigen Willen zum Frieden niedergeschlagen haben. Unnachgiebig ist Knorr bis ins höchste Alter geblieben. Er selbst fügt einem seiner letzten Texte als Fußnote hinzu: "Diesen Thesen ist Zeitzeugencharakter eigen" (317). Das gilt im Grunde für alle Aufsätze und Beiträge des Bandes. Eben in der inzwischen zu Tage getretenen Brüchigkeit der überlieferten Argumente der Friedensbewegung wird der Wille zum Durchhalten sichtbar, dem freilich kein Erfolg vergönnt war. Allenfalls die Fähigkeit, ein Lebenszeichen zu hinterlassen.
Am eindrucksvollsten die unmittelbar biographischen Erinnerungen. Dem schon schwer verwundeten Funker Knorr in Russland gelang es, mit anderen Kontakt aufzunehmen, um die Partisanen-Bekämpfung zu behindern. Ebenso Kontakte zu Krankenschwestern und zu den Genossen des alten Jugendverbandes der tschechischen SPD. Selbst über die schwedische Grenze hinweg, zur Vorbereitung einer eigenen Politik nach der Befreiung, die nicht nur von der Siegerallianz bestimmt würde. Ein Beispiel der von den Männern des zwanzigsten Juli übersehenen Möglichkeiten der Unterstützung; in diesen Kreisen zog man erst Leute ab Major aufwärts in Betracht (Vergl. die Schilderung bei KARLHEINZ ROTH: SCHWARZE KAPELLEN, bespr. in stattweb.de-Büchertipps).
Unvergesslich die Schilderung des letzten Zusammentreffens mit Herbert Wehner, nachdem dieser sich Adenauers NATO-Politik unterworfen hatte. Wehner, alle Machtworte der Schmidts, Schröders und Strucks vorwegnehmend, am Ende: "Entweder du vertrittst konsequent die neuen Parteibeschlüsse, dann bleibt der Weg dir offen als Parteisekretär, MdB oder Mitglied des Parteivorstands, oder du machst weiter wie bisher, dann machen wir Dich fertig" (60).
Die Partei machte weiter wie bisher - bis zum Überfall auf Jugoslawien und hin zum Hindukusch. Knorr machte auch weiter wie bisher. Das Fertigmachen sollten die Gerichte übernehmen. Knorr hatte Generäle der Wehrmacht, die Adenauer zur Aufrüstung brauchte, “Massenmörder” genannt. Der Prozess zog sich bis in die siebziger Jahre hin. Einen Wahrheitsbeweis lehnte das Gericht ab. “Schmähkritik” ist einem solchen nicht zugänglich. Aber das Ansehen eines Heusinger und anderer NATO-Größen wurde bleibend erschüttert. Ein Sieg im Kleinen unter den Niederlagen im Großen. (Vergl. stattweb.de-Büchertipps / Hannover: die Republik vor Gericht).
So wurde erwogen, eine Partei wie die der Nenni-Sozialisten in Italien zu gründen, also außerhalb des Moskauverbandes - oder eine Partei, die auf breitere Zustimmung rechnete: die DEUTSCHE FRIEDENS-UNION. Warum auf dieses totgeborene Kind gesetzt wurde, ist dem Text-Band leider nicht zu entnehmen. Tatsächlich diente die DFU wesentlich als Container für verbotsbetroffene KPD-Mitglieder und hatte geringsten Einfluss auf die Antikriegsbewegung des SDS, der späteren Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg usw. Als dann 1968 die DKP gegründet wurde, stiegen etwa in Mannheim die DFU-Stadträte aus dem Trojanischen Pferd und orteten sich bescheiden lächelnd als die Kommunisten, die sie immer geblieben seien.
Noch peinlicher die Gründung der AKTION DEMOKRATISCHER FORTSCHRITT, zu den Bundestagswahlen 1969 entworfen als Übungsbaracke für solche, die noch nicht so weit waren (nämlich bereit für die DKP). Als Prof. Schneider in Würzburg nach den Wahlen nachwies, dass die Altkommunisten eisern SPD gewählt hatten, wir als Stimmvieh aber dem Experiment "Volksfront" zugetrieben worden waren, verleidete das vielen solche Bündnispolitik auf Dauer.
Die Bündnisüberlegungen führen im Buch Knorrs am weitesten in ein Gestrüpp, durch das er sich mühsam Bahn brach. So empfiehlt er im Kapitel "Sozialdarwinismus contra Kultur des Friedens" (S.98 ff.), den seiner Meinung nach richtigen Begriff des Imperialismus im Sinne Lenins nicht in den Vordergrund zu stellen, er schrecke ab. Stattdessen sei der Kampf gegen den" Sozialdarwinismus" plakativ zu benutzen. Volkstümlich ausgedrückt: Gegen das bloße Recht des Stärkeren. Nicht nur, dass dieses Recht jedermann jeden Tag als die Regel des Selbstverständlichen vor Augen tritt und - wie mürrisch auch immer - akzeptiert wird - bloßer Vokabeltausch kann Zweifel nicht beseitigen. Statt zuzugeben, dass Lenins Voraussage vom dauernden Übergang zum Monopolismus und damit zum "Imperialismus als l e t z t e r Stufe des Kapitalismus" sich nicht ohne viele Zusatzannahmen halten lässt, wird ein Wort vorgeschoben, das analytisch nichts hergibt. Kurzfristige Sympathie statt Erkenntnis.
Das neue Buch kann nicht dienen als Summe von Handlungsanweisungen, um endlich den ersehnten Frieden hinzukriegen. Es ist zur Kenntnis zu nehmen als erschütternde Chronik bald eines ganzen Jahrhunderts. Chronik des immer wieder für tot gehaltenen, immer triumphaler auferstehenden Krieges.
Lorenz Knorr verlässt das Feld mit fünfundachtzig Jahren in jedem Punkte besiegt, aber unerbittlich. “Das ganze Leben ist ein Abmüden”, sagt Goethe. “Wohl dem, der nicht müde wird.” Lorenz Knorr wurde nicht müde. Er blieb unnachgiebig im Wollen, unerbittlich im Fragen.
RezensentIn: Fritz Güde
Erschienen bei Papy Rossa 2006, 19,90 Euro.
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