Barbara Ehrenreich:
Qualifiziert und arbeitslos
Eine Irrfahrt durch die Bewerbungswüste
Barbara Ehrenreich ging in den USA 3-4 Monate inkognito auf Jobsuche im unteren PR-Management - in diesem Buch beschreibt sie ihre Erfahrungen
Die Arbeitssuche ist in Zeiten deregulierter Arbeitsmärkte zu einer komplexen Technik, wenn nicht gar eine Wissenschaft geworden, dass kein Mensch diese Aufgabe mehr allein bewältigen kann. Sind die Bewerbungsunterlagen auf dem neuesten Stand, die potentielle Arbeitgeber beeindrucken können? Sind die menschlichen Kontakte noch in Ordnung, oder müssen sie durch ein profesionelles "Networking Event" aufgefrischt werden? Sollen etwa "Kernkompetenzen" neu bearbeitet oder besser hervorgehoben werden? Wichtige Entscheidungen stehen an, von denen eine ganze "Übergangsindustrie" profitieren.
Die Journalistin Barbara Ehrenreich hat inkognito, mit falscher Identität die amerikanische Schattenwelt der Vermittlungsagenturen und Karrierecoachs unter die Lupe genommen. Wohlgemerkt die Amerikanische: Staatliche Arbeitsagenturen, die ihre "Kunden" mit sinnlosen "Trainingsmaßnahmen" beglücken, tauchen in dem Buch fast nicht auf. In den USA zahlen die Klienten, im Zuge der Verarmung der Mittelschichten, ihre Coachs selbst. Deshalb ist die Analyse auch nur bedingt auf europäische Verhältnisse zu übertragen. Ganz anders verhält es sich bei den sogenannten Persönlichkeitstest, die unabdingbar jedem erfolglosen Vermittlungsversuch vorausgehen. Sie tauchen auch auf den deutschen "Coachingsides" auf, die immer mehr expandieren: Zum Beispiel der sogenannte "Meyers-Briggs Typ Indikator", von einer amerikanischen Hausfrau ohne jede psychologische Vorkenntnisse entwickelt. Populärpsychologische Modeerscheinungen aus den heißen Quellen der Esoterik. Der Mensch ist halt ein Gewohnheitstier, also muss man nur die richtigen herausfinden. Am Besten in einem drittklassigen Hotel, die Teilnehmer um einen hufeisenförmigen Tisch gruppiert, mit Web-Präsentation und im Tonfall einer therapeutischen Sitzung. Es werden Flipcharts mit "Schlüsselkompetenzen" bestückt, mit Visitenkarten um sich geworfen und gegebenenfalls die "Klientin" auf erhebliche Defizite hingewiesen. Coachs sind eine Klasse der Übergangsindustrie, die seit den ´90er Jahre als unausweichliche Folge der Arbeitslosigkeit boomt. Sie sind selbstbewußt, verfügen über Erfahrung im Projektmangement (im Planspiel also) und das Beste was ihnen passieren kann, ist die Untersützung der TV-Moderatorin Sabine Christiansen durch die Einladung zu einer Expertenrunde. Ob diese Spezialisten des Übergangs oft selbst gerade arbeitslos waren, fragt niemand.
6000 Dollar für diverse Coachs, Reisen, Trainings- und Networking-Sitzungen, sind in den USA keine Seltenheit. Einen Job finden die wenigsten und wenn doch, mit Sicherheit nicht über diese Agenturen, die oft genug auch noch der Rekrutierung für fundamentalistische Evangelisten fungieren. Reicht es da die Beantwortung der Frage zu versuchen, die da lautet: Was möchte ich "wirklich machen"? Oder ist sie weiter zu fassen: Was stimmt am Gesamtbild nicht? Ein spannendes und verständlich geschriebenes Buch.
RezensentIn: Adi Quarti
Erschienen bei Antje Kunstmann 2006, 19,90 Euro.
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