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Büchertipps / Rezensionen



Titelseite
Beverly Silver:

Forces of Labor
Arbeiterbewegungen und Globalisierung seit 1870

Auf der Basis einer enormen Datensammlung untersucht Silver die Rolle der Arbeiterklasse in den und für die kapitalistischen Konjunkturzyklen




In Zeiten des Standortnationalismus und der um sich greifenden Klientelpolitik scheint die Frage, welche Rolle Gewerkschaften und Arbeiterbewegung künftig spielen werden, schnell beantwortet. Glaubt man dem neoliberalen und bürgerlichen Zeitgeist, so ist die Zeit der offensiven Interessenvertretung der Arbeiterinnen und Arbeiter vorbei: Selbst das Co-Management der Nachkriegszeit scheint obsolet geworden zu sein. „Wettbewerbsgesellschaft“, „Standortwettbewerb“, „Globalisierung“, „Dienstleistungsgesellschaft“, „Wissensgesellschaft“ und „Leistungsgesellschaft“ – der ideologischen Begriffe zur Kennzeichnung einer vermeintlich neuen Ära mangelt es (auch innerhalb der Gewerkschaften und der Parteien der Arbeiterbewegung) nicht.

Die Kurzsichtigkeit solcher Ansätze lässt sich oft erst im historischen Rückblick erkennen – was uns umgekehrt dazu anleiten sollte, die Geschichte zu studieren, um nicht singuläre Phänomene der Gegenwart zu Prinzipien der Zukunft zu verabsolutieren. Genau dies ist der Ansatzpunkt, den die amerikanische Soziologin in ihrem Buch „Forces of Labor“ verfolgt, das im April in deutscher Übersetzung bei Assoziation A erschienen ist.

Geschichte des Kapitalismus und Geschichte der Arbeiterbewegung hängen für Silver auf das Engste zusammen, so dass sie nur gemeinsam analysiert werden können. Sie macht dies auf der Basis einer Zusammenstellung sämtlicher Artikel, die in der Londoner „Times“ und der „New York Times“ zwischen 1870 und 1996 über weltweite Arbeiteraufstände, -unruhen und Streiks berichteten (sie blendet dabei, um eine gewisse Vergleichbarkeit der Daten zu gewährleisten, Berichte der „Times“ über britische und Berichte der „New York Times“ über US-amerikanische Geschehnisse aus). Die auf diese Weise gesammelten Daten ermöglichen ihr eine übergreifende, umfassende welthistorische Analyse des Kapitalismus und der Arbeiterbewegung. Silver beschreibt Regelmäßigkeiten und Zusammenhänge von Kapitalbewegungen, Arbeitermacht und Arbeiterunruhen in verschiedenen Ländern zu verschiedenen Zeiten.

In Silvers Geschichte der ArbeiterInnenbewegung und des Kapitalismus wechseln sich verschiedene Formen und Ausprägungen von Arbeiterunruhen (beispielsweise Streiks, Aufstände, Sabotage) mit entsprechenden Reaktionen des Kapitals ab. Es ist dieser wechselseitige Kampf, der als Klassenkampf weltweite und welthistorische Prozesse auslöst. Silver unterscheidet vier, als Fixes bezeichnete Typen der Reaktionen, die das Kapital auf aufflammende Arbeiterunruhen und die verschiedenen Formen und Ausprägungen von Arbeitermacht wählen kann.

Der räumliche Fix bezeichnet eine räumliche Verschiebung des Kapitals; es ziehe in andere Länder mit billigeren ArbeiterInnen und weniger ausgeprägten staatlichen Schutzauflagen, wenn aufgrund zu großer Arbeitermacht die Rendite in einem Land zu gering ausfällt oder die Kapitalverwertung zu aufwändig werde. Dies sei in der Summe nicht zwingend mit dem Verlust von Arbeitermacht verbunden: zwar verschlechtere sich die Situation der ArbeiterInnen in den Metropolen, allerdings wachse die Arbeitermacht in der Peripherie. Silver macht dies am Beispiel der (für den Großteil des 20. Jahrhunderts zentralen) Automobilindustrie deutlich, die von den USA über West- und Südeuropa schließlich in Brasilien, Südafrika und Südkorea gelandet und überall nach kurzer Zeit mit Arbeiterunruhen konfrontiert worden ist. Aus diesem Grund – und wegen der begrenzten Azahl möglicher Zielländer sei die Möglichkeit, durch Produktionsverlagerungen Renditen zu erhöhen, begrenzt.

Als weitere Reaktionsmöglichkeiten nennt sie den Produkt-Fix (die Verschiebung des Kapitals in neue Branchen bzw. Produktlinien) und den technologischen Fix (die Entwicklung modernerer Produktions- und Organisationsmethoden, die eine höhere Rendite aus der menschlichen Arbeit pressen). Allerdings lösten auch diese beiden Fixes die Probleme des Kapitals oft eher schlecht als recht: der Produkt-Fix erlaube zwar kurzfristig höhere Renditen, habe aber gleichwohl zur Folge, dass ArbeiterInnen einen höheren Anteil am von ihnen Produzierten einforderten und erkämpften – so beobachtbar an der Automobilindustrie, die indirekt aus „geflüchtetem“ Textilindustriekapital aufgebaut worden sei. Der technologische Fix wiederum habe die Arbeitermacht nicht selten gegen den Willen des Kapitals deutlich erhöht – in der wichtigen Automobilindustrie erlaubte beispielsweise das Fließband den ArbeiterInnen, durch Blockade jedes noch so kleinen Produktionsschrittes die gesamte Produktion stillzulegen.

Insbesondere in Zeiten besonders ausgeprägter Konkurrenz neige das Kapital dazu, sich ganz aus Handel und Produktion zurückzuziehen und „in Finanzen und Spekulation zu flüchten“. Doch auch dieser finanzielle Fix vermag die Arbeitermacht nicht notwendigerweise zu untergraben: Silver verweist darauf, dass gerade zu Zeiten sehr großer Arbeitermacht Ende des 19. und anfangs des 20. Jahrhunderts der finanzielle Fix ein besonders großes Ausmaß angenommen hatte – bevor dieses Kapital in die neuen Industrien des 20. Jahrhunderts floss.

Beverly Silvers Anliegen ist der Nachweis, dass die aus Sicht der Metropolen heute so bedenklichen Entwicklungen, die meist als „Globalisierung“ bezeichnet werden, keine dauerhafte und vor allem keine globale Schwächung der Arbeiterbewegung zur Folge haben müssen. Historisch hatte jede Handlung des Kapitals eine Gegenreaktion der ArbeiterInnen zur Folge und jede Handlung der ArbeiterInnen eine Gegenreaktion des Kapitals – was die Zusammensetzung und Ausprägung von Kapital und Arbeitermacht zwar einem permanenten Wandel unterwarf, aber den grundsätzlichen Mechanismus nicht stoppte. Die Abwanderung des Kapitals in Billiglohnländer, die zunehmende Bedeutung der Finanzmärkte und die tiefe Krise der westlichen Arbeiterbewegungen heute bedeuteten deshalb nicht notwendigerweise, dass das Kapital welthistorisch als Sieger dastünde. Vielmehr sei ein genauerer Blick auf die wechselnde Zusammensetzung und Lokalisierung von Arbeitermacht ebenso notwendig wie ein genauerer Blick auf die Reaktionsweisen des Kapitals auf sinkende Renditen und mancherorts steigende Arbeitermacht. Die überzeugende Kernbotschaft ihres Buches: wenn Kapital und Arbeit sich seit 200 Jahren rund um den Erdball und quer durch Produkte und Technologien jagen, wenn Kapital und Arbeit nach wie vor das Grundmuster bürgerlicher Gesellschaften bilden – dann kann nicht ernsthaft das Ende der Arbeiterbewegung und der Sieg des Kapitals behauptet werden.

RezensentIn: Jan Peter Althoff

Erschienen bei Assoziation A 2005, 18,00 Euro.


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