Alexander Stille:
Citizen Berlusconi
Der italienischstämmige US-Journalist Alexander Stille analysiert das unpolitisch Politische des kriminellen italienischen Ex-Staatschefs und Medienmoguls Silvio Berlusconi
Über die Herrschaft der Medien zu klagen ist im politischen Leben weit verbreitet, und zumeist sind diese Klagen nicht unberechtigt. Erinnert sei beispielhaft nur an die Auseinandersetzungen um den EU-Verfassungsvertrag vor dem diesbezüglichen Referendum in Frankreich, an die Debatten in den USA und in Großbritannien vor dem Einmarsch in den Irak oder auch an die Debatten in Deutschland vor und während des so genannten Kosovo-Kriegs, dem Überfall auf Jugoslawien. In allen Fällen vermittelten und untermauerten Printmedien wie auch Rundfunk nur eine Position, nämlich die der Regierung - oppositionelle und widersprechende Stimmen, die in vielen Fällen die Mehrheit der Bevölkerung repräsentierten, fanden in medialen Debatten keinen Widerhall. Es scheint dies zu einem Phänomen der westlichen, vermeintlich klassenlosen Mediengesellschaft geworden zu sein, die sich unter dem camouflierenden Flaggschiff der Meinungsfreiheit einer Illusion der Herrschaft des besseren Argumentes hingibt und dabei nicht bemerkt, dass nicht Argumente herrschen, sondern Herrschende.
Pünktlich zu den Parlamentswahlen in Italien hat der amerikanische Journalist Alexander Stille ein überzeugendes Werk vorgelegt, in dem er die Machtergreifung und die Herrschaft des italienischen Multimilliardärs, nachgewiesenen Kriminellen und langjährigen Chefs der mittlerweile abgewählten Rechts-Rechtsaußen-Regierung, Silvio Berlusconi, minutiös analysiert. Stille legt dabei drei Werke in einem vor: zum Ersten stellt er mit großer Akribie die Entwicklung Berlusconis vom kleinen Mailänder Bauunternehmer zum Staatschef einer der größten Industriegesellschaften der Erde dar. Zum Zweiten gelingt es ihm, die historische Erzählung durch eine detaillierte Charakteranalyse Berlusconis zu ergänzen, die Einblicke in eine Persönlichkeit von ungeahnter Selbstüberzeugung, Selbstsucht und Rücksichtslosigkeit bietet.
Die Entwicklung Berlusconis vom kleinen Mailänder Bauunternehmer zum größten TV- und später auch Printmedien-Unternehmer und schließlich zum Staatschef war begleitet und begründet durch primitive Geschäftsgebahren, der Unterstützung durch korrupte Politiker, Juristen und Mafiosi wie auch der Fähigkeit Berlusconis, Gesetzeslücken und institutionelle Schwächen in Politik und Justiz für sich auszunutzen. Der Werdegang, von Berlusconi selbst oft als italienische Variante des "vom Tellerwäscher zum Millionär" verkauft, entpuppt sich als von Sexgeschichten, Täuschungsmanövern und Verdummung geprägtes Werden eines Mannes, dessen einzige unternehmerische Stärke im Knüpfen und Aufrechterhalten nützlicher Kontakte sowie im camouflierenden Überzeugen anderer Menschen zu liegen scheint. Dass dabei Rechtstaatlichkeit, Kontrollmacht der Medien, journalistische Ethik und Demokratie ebenso auf der Strecke blieben wie die von Berlusconi selbst hochgelobte Marktwirtschaft, wird aus Stilles Schilderungen mehr als deutlich.
Zum Dritten überführt Stille diese Analyse der italienischen Medienlandschaft und Politik schlussendlich in eine Analyse der rechts geprägten, westlichen Mediengesellschaft im Allgemeinen - und lässt allerdings gerade an dieser Stelle die notwendige Konsequenz vermissen. Unter dem Motto "Wir alle sind Berlusconi" schildert er (nicht nur im gleichnamigen Kapitel) Entwicklungen auch in anderen westlichen Staaten, insbesondere in den USA, die in eine ähnliche Richtung verlaufen wie die italienischen: Medien, die sich faktenresistent rechten Regierungen unterwerfen, ein massenhaftes Wahlverhalten der Unterschichten, das den eigenen Interessen objektiv widerspricht, Konzentrationsprozesse im Medienbereich, der Verfall der Utopie eines objektiven Journalismus. So gut gemeint diese Kritik letztlich auch ist - die entscheidende Frage wirft Stille nicht auf. Die entscheidende Frage wäre gewesen, ob in einer marktwirtschaftlich verfassten Mediengesellschaft Demokratie überhaupt möglich ist. Dabei deutet Stille an früherer Stelle selbst an, dass Medien wenn auch nicht objektiv, so doch vielfältig zu gestalten wären: nämlich unter staatlicher Aufsicht und strenger Kontrolle - im Italien vor Berlusconi durch die großen Parteien von der alten Christdemokratie bis zur Kommunistischen Partei. Dass sich über eine Verstaatlichung aller Print- und Rundfunkmedien nachzudenken lohnt, wird in "Citizen Berlusconi" deutlich, ohne dass diese letzte Konsequenz darin gezogen würde.
Gleichwohl hat Alexander Stille ein Buch vorgelegt, dass auf überzeugende Weise nicht nur in die Berlusconisierung Italiens, sondern auch die westlichen Mediengesellschaften ausführlich und detailliert darstellt. Es ist mit Gewinn zu lesen, will man die derzeitige italienische Politik verstehen.
RezensentIn: Jan Peter Althoff
Erschienen bei C.H. Beck 2006, 24,90 Euro.
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