Duccio Canestrini:
Schießen Sie nicht auf den Touristen!
Eine Analyse der Kehrseiten des globalen Tourismus, den viele für Freiheit halten und der zunehmend Unfreiheit mit sich bringt
Wohin, unter welchen Umständen und wie sicher werden wir entlang der >>Achse des Bösen<< in Zukunft reisen können? Der italienische Anthropologe und Professor für Tourism Management in Trento, Duccio Canestrini, hat dazu ein ebenso kluges wie humorvolles Buch geschrieben. Sicher, die Deutschen sind Reiseweltmeister, die Italienerinnen allerdings mit dem Phänomen dickbäuchiger, Unterhemd und Bermundashorts tragender Teutonen bestens vertraut. Dies ist aber nicht das Thema, sondern nur die Ausgangsbedingung. Die Geschichte der Briganten und Wegelagerer, deren sichere Ortskenntnisse heute im Irak, in Cassablanca, in Tunesien oder Indonesien die Grand Hotels Ambassador unsicher machen. Wenn aber nun, wie zuletzt im Fall Susanne Osthoff, laut Report vom 30.01. nicht nur die Lösegeldsummen, sondern auch die Verstrickung des BND in die Angelegenheit publik wird, wird reisen dann sicherer? Wohl kaum. Um die Megaindustrie des Tourismus entwickelt sich eine neue: Videoüberwachung, Nachrichtensperre, Securityfirmen und Biometrie sind die Kehrseite der globalen Wanderbewegungen und ihrer zum Teil grotesker Ausprägungen: Der internationale Flughafen in Philadelphia etwa, wo das Kölnisch Wasser eines Reisenden aus Saudi-Arabien für eine gefährliche Chemiekalie gehalten wurde und das FBI einen Quarantäneraum einrichtete. Oder der New Yorker Flughafen JFK, wo eine amerikanische junge Mutter, die mit Säugling reiste, gezwungen wurde ihre eigene Milch aus dem Trinkfläschchen zu trinken. Die Flüssigkeit hatte Verdacht erregt!
Wird die Zukunft des Tourismus in Touristengettos in Schurkenstaaten liegen, in genau eingegrenzten Destinationen und Schlaraffendörfern? Diese Frage ist nicht so einfach und pauschal zu beantworten (all inclusive?). Mit einer solchen Lektüre im Urlaubsgepäck aber trefflich darüber sinnieren, falls sie nicht die Aufmerksamkeit der Gepäckkontrolleure erregt...
RezensentIn: Adi Quarti
Erschienen bei Diaphanes 2006, 14,90 Euro.
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