Alfred Schobert:
Analysen und Essays
Extreme Rechte - Geschichtspolitik - Poststrukturalismus
Der Band enthält 30 posthum veröffentlichte Texte, die zum selbständigen Denken - und Handeln - einladen.
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Brecht bezeichnete jene Intellektuelle, die sich aus Pragmatismus an fetischisierten Sachzwängen orientierten und damit ihre politische Emanzipation aufgaben, als „Kopflanger“ der herrschenden Klasse. Bei der Betrachtung gegenwärtiger Debatten fällt auf, dass Brechts Beschreibung – nicht nur in Bezug auf Sloterdijk – aktuell ist. Mal abgesehen von der Frage, was Intellektuelle zu Intellektuellen macht, trifft sie jedoch nicht auf alle zu. Manche “Intellektuelle“ handeln wider vermeintlicher Wahrheiten, sprechen gewissermaßen gegen den Strich. Einer von ihnen war Alfred Schobert (1963-2006). Beim Unrast Verlag (Edition DISS) erschien kürzlich ein Sammelband von 30 ausgewählten Texten aus dem fulminanten Fundus von etwa 500 Veröffentlichungen Schoberts. Die Herausgeber Martin Dietzsch, Siegfried Jäger und Moshe Zuckermann wollten die Arbeiten zu den Themenbereichen Extreme Rechte, Geschichtspolitik und Poststrukturalismus einem breiteren Publikum zugänglich machen, „weil sie in Form und Inhalt mannigfache Denkanstöße für eine notwendige intellektuelle Debatte – nicht nur in Deutschland – zu geben versprechen“ (S. 5). Dies soll anhand einiger exemplarisch vorgestellter Analysen verdeutlicht werden, da – aus Platzgründen – leider nicht auf alle Arbeiten en détail eingegangen werden kann.
Schobert beschäftigt sich nicht nur mit der hiesigen extremen Rechten, sondern auch intensiv mit der in Frankreich. Im vorliegenden Buch finden sich mehrere Arbeiten, die sich mit der Nouvelle Droite um deren „Weltanschauungsbastler“ und „Interdiskursproduzenten“ Alain de Benoist befassen. Nicht nur bei diesen Analysen stehen immer die Texte – oder genauer: Diskursfragmente – der Untersuchten selbst im Mittelpunkt. Dabei richtet sich der kritische Blick stets über die vermeintlich klar abgesteckten Grenzen hinaus, wenn zum Beispiel die Allianzen zwischen rechten und angeblich linken Globalisierungsgegner_innen genauer beleuchtet werden. „Der Schlaf der Vernunft zeugt Ungeheuer“, wenn nicht notwendige theoretisch-analytische Unterscheidungen gezeigt werden (vgl. S. 57). Hier knüpft auch der Artikel „Nothing to worry about?“ an. Ein – nicht autorisiertes – Interview der National-Zeitung mit Noam Chomsky wird zum Anlass genommen, um der Frage auf den Grund zu gehen, was Chomsky so attraktiv für die extreme Rechte macht. Zum einen sei Chomskys Engagement gegen den US-„Imperialismus“ und Israels „Klientelpolitik“ anschlussfähig, zum anderen falle Chomsky immer wieder durch umstrittene Solidaritätsbekunden auf - so zum Beispiel für den Holocaust-Leugner Robert Faurisson (vgl. S. 116).
Dass es sich lohnt, losgetretene Debatten genauer nach der Entstehung – und dem Nichtgesagten – zu untersuchen, zeigt der Artikel „In der Mühle der binären Reduktion“. Die gezielten Missdeutungen einer Rede der indischen Aktivistin und Publizistin Arundhati Roy bei Mumbai Resistance 2004 werden nachgezeichnet, in der sie angeblich zum bewaffneten Widerstand im Irak gegen die USA aufgerufen haben soll. Es fällt auf, wie bürgerliche und sich als links definierende Medien zunächst voneinander abschreiben – und später, trotz besseren Wissens, deutliche Klarstellungen Roys ignorieren. Die scharfe Kritik des Autors richtet sich dabei nicht nur gegen Teile der Jungle World, sondern auch gegen Autoren der Jungen Welt. Da sowohl die Positionen der Befürworter_innen von Aktionen wie 10 Euro für den Widerstand im Irak, als auch linker Bellizismus abzulehnen sei, mahnt Schobert, sich dieser „idiotischen Alternativen“ zu entziehen (vgl. S. 102).
Einen aktuellen Bezug weist die Arbeit über Finkelsteins Holocaust-Industrie auf. Nach der kurzen aber präzisen Vorstellung der Thesen Finkelsteins kritisiert Schobert dessen dürftige Argumentation, die hinter Jahrzehnte währende Debatten zurückfalle. Das wird an der präzisen Rekapitulation der Diskussionen um die TV-Serie „Holocaust“ und Paul Celans Gedicht „Todesfuge“ verdeutlicht. Erst gegen Ende der Arbeit wird sich wieder dem „Titelthema“ Finkelstein gewidmet. Die Genealogie des Begriffs „Holocaust-Industrie“ zeigt, dass Finkelstein den Begriff offenbar von Holocaust-Leugner David Irving übernommen hat, der bereits im 1990 von einer gigantischen „Holocaust-Industrie“ fabuliert haben soll, spätestens aber 1993 in der Nazi-Fernseh-Show „Race and Reason“ davon sprach. Nicht nur deshalb sei Finkelstein – laut Schobert – „ein Koschermacher der neonazistischen Propagandaformel ‚Holocaust-Industrie‘“ (S. 260).
Ein weiterer Schwerpunkt in den Arbeiten Schoberts besteht im Aufdecken von Normalisierungsversuchen. Normalisierungen in dem Sinne, dass versucht werde, Deutschland nach der Vereinigung wieder als „ganz normale“ Nation darzustellen – die nun die Geschichte endlich ruhen lassen sollte, und sich nach der Wende wieder auf ihre Stärke rückbesinnen sollte. So etwa Martin Walser mit seiner „Friedenspreis-Rede“ 1998 . Diese wird von Schobert geschickt in den Kontext des Gesamtwerks Walsers gestellt, womit verdeutlicht wird, dass die umstrittene Rede Walsers nicht etwa ein Ausrutscher oder gar die Folge eines „Altersrechtsrucks“ war, sondern unmittelbar an frühere Aussagen anknüpft.
Schoberts Ausführungen zur Normalismus-Theorie von Jürgen Link bildet einen von drei Schwerpunkten des letzten Kapitels zu Poststrukturalismus. Die kritischen Auseinandersetzungen mit Link, Foucault und zur Rezeption der Schriften von Derrida eignen sich als Einführungen in wissenschaftliche Debatten. Insbesondere die Arbeiten zum Politischen bei Derrida sind hier besonders hervorzuheben. Gerade weil sich Derrida eiliger Positionierungen entziehe und lieber problematisiere, sei eine Auseinandersetzung mit dessen Werk sehr ergiebig. Statt dem Registrieren klarer politischer Frontverläufe suchten Derridas Lektüren auch nach dem, „was die Kontrahenten an problematischen Gemeinsamkeiten aufweisen, wo und wie sich Positionen austauschen und verkehren usw.“ (S. 377)
„Analysen und Essays“ regt zum Denken und – vor allem – Intervenieren an. Schobert selbst, der von den Herausgebern als „eingreifender Intellektueller im besten Sinne des Wortes“ gelobt wird (S. 5), war jahrelang wissenschaftlicher Mitarbeiter im Duisburger Insitut für Sprach- und Sozialforschung (DISS), darüber hinaus aber immer auch in anderen Gruppen und Gebieten aktiv. Nie orientierte er sich nur an wissenschaftlichem Fachpublikum.
Verdeutlicht werden die Verbindungen von [poststrukturalistischer] Theorie und [politischer] Praxis. Es werden nicht einfach vermeintliche Wahrheiten den aus Passivität bald eindösenden Rezipient_innen präsentiert, sondern aktives Lesen gefördert. Schobert kann als “spezifischer Intellektueller“ (Foucault) bezeichnet werden. Nach Foucault komme es nicht darauf an, die Wahrheit von jedem Machtsystem zu befreien, sondern die Macht der Wahrheit von den Formen der Hegemonie zu befreien, quasi die (sozialen, ökonomischen und institutionellen) Produktionsordnungen der Wahrheit zu verändern. Schobert gibt nicht einfach Beispiele für das Wahre und Gerechte und erklärt mit dem universellen Wissen aus erhöhter Position heraus den subalternen Rezipient_innen die Welt. Vielmehr zeigt er die Strukturen auf, fördert und fordert aktives Mitdenken bzw. –handeln, spricht nicht einfach, sondern fordert zum Sprechen auf.
RezensentIn: Sebastian Friedrich
Erschienen bei Unrast Verlag (Edition DISS) 2009, 29,80 Euro. Sie können dieses Buch bei Amazon bestellen.
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