Kay Sokolowsky:
Feindbild Moslem
Kay Sokolowskys Buch über neusten deutschen Rassismus.
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Der Mord an der Ägypterin Marwa El-Sherbini in Dresden, die rassistischen Äußerungen des Bundesbankers Thilo Sarrazin, das Minarettverbot in der Schweiz: Die drei Beispiele aus dem letzten halben Jahr zeigen, wie sich Rassismus aktuell ausdrückt. Der Journalist Kay Sokolowsky zeigt in seinem Buch »Feinbild Moslem«, daß es sich um ein altes Phänomen in neuem Gewand handelt.
Er beginnt seine Untersuchung Anfang der 1990er Jahre, als bei rassistischen Pogromen etliche Menschen ihr Leben verloren. Politiker zeigten sich geschockt, verurteilten die Morde pflichtgemäß, forderten aber im gleichen Atemzug eine Verschärfung des Asylrechts. 1993 beschloß der Bundestag mit den Stimmen von Union, FDP und SPD die faktische Abschaffung des Menschenrechts auf Asyl. In dieser Atmosphäre entstand damals eine heute längst vergessene Expertise von Eckart Schiffer aus dem Bundesinnenministerium, in der unter anderem eine homogene Kultur der »Heimat« postuliert wurde. Hier sieht Sokolowsky die Konturen eines Feindbildes, das zehn Jahre später deutlicher sichtbar werden sollte.
Auf die Vorläufer folgten – wie Sokolowsky formuliert – die »Feindbildhauer«. Eine wichtige Rolle spielte in den letzten Jahren der Spiegel unter seinem Chefredakteur (bis 2008) Stefan Aust. Bis einschließlich 2007 erschienen beinahe ein Dutzend tendenziöser Titelgeschichten wie »Allahs rechtlose Töchter – Muslimische Frauen in Deutschland«, »Papst contra Mohammed« und »Mekka Deutschland – Die stille Islamisierung«. Sokolowsky meint, man könne Aust zwar nicht unterstellen, den Islamfeinden die Fackeln in die Hand gedrückt zu haben, aber »er stand auch nicht im Weg, als sie nach Feuerzeugen suchten.«
Im folgenden Kapitel befaßt sich Sokolowsky mit den »Kronzeugen« für die moslemische Gefahr, von denen die Publizisten Ralph Giordano und Henryk M. Broder die bekanntesten sein dürften. Sie stehen nicht in Verdacht, Neonazis zu sein. Sie bedienen sich aber – jenen ähnlich – rassistischer Argumentationsmuster, in denen »die Muslime« zumeist per se als frauen-, demokratie-, und judenfeindlich dargestellt werden. Gedanklich in unmittelbarer Nähe zu ihnen befinden sich die Blogger rund um die Internetseite Politicially Incorrect (P.I.). Die Seite steht im Zentrum antimoslemischer Blog-Aktivitäten. P.I.-Artikel werden nicht nur munter von anderen Seiten übernommen, es werden überdies ständig Beiträge von nicht primär-rassistischen Publikationen verlinkt. Sie werden dann von der nicht großen, dafür im Haß zielsicheren P.I.-Szene in hoher Taktung kommentiert. Das kann manchmal zu dem Eindruck führen, eine überwiegende Mehrzahl der Leser von Online-Portalen großer Tageszeitungen sei stramm rassistisch. Offiziell bezeichnet sich Politicially Incorrect als »proisraelisch«, doch Diskussionen etwa um deutschen »Schuldkult« zeigen exemplarisch, daß der Antisemitismus hier nicht verschwunden ist, »der Moslem« aber momentan als das vitalere Feindbild erscheint. Der Angriff auf den Islam eignet sich deshalb hervorragend als Vorwand, weil Islamkritik nicht tabuisiert ist, nur die Parole »Ausländer raus«. So kann alter Rassismus in neuem Gewand auftreten.
Ein bißchen einfach macht es sich Sokolowsky, wenn er nach den Ursachen für den aktuellen Rassismus sucht. Nach ihm steht am Anfang von Rassismus die (irrationale) Angst vor dem Fremden und der Unwille, den Fremden als Gleichen zu akzeptieren. Doch zeigen gerade die zahlreichen Beispiele in seinem Buch, daß Rassismus im Gewand der Islamkritik eher ein kalkuliertes Spiel mit der Angst und somit etwas sehr Rationales zu sein scheint. Die Gefahr bei Sokolowsky Betrachtungsweise liegt auf der Hand: Rassisten werden pathologisiert, Rassismus wird so durch die Hintertür still und heimlich entpolitisiert. Es muß bei der Ursachenforschung also tiefer angesetzt werden, etwa bei der Frage: Wie und warum wird Fremdheit konstruiert? Die Antworten sind mannigfaltig. Dabei findet ein Mittel zur Erzeugung von rassistischer Haltung bei Sokolowsky zuweilen wenig Beachtung: Die Sprache. Sehr häufig verwendet er die Begriffe Fremdenfeindlichkeit, Ausländerfeindlichkeit und Xenophobie als Synonym für Rassismus. An keiner Stelle des Buches wird auf die seit Jahren geführte Diskussion eingegangen, inwieweit diese Begriffe nicht nur unpräzise sind, sondern – schlimmer noch – Fremdheit reproduzieren und somit ein Zahnrad bei der Erstellung und Verfestigung rassistischer »Wirklichkeit« sind.
Trotz diesen Schwächen ist »Feindbild Moslem« ein lesenswertes Buch, das vor allem durch ausgezeichnete Recherche besticht. Es gibt wohl aktuell kaum ein Buch auf dem Markt, das journalistisch und somit für ein breiteres Publikum zeigt, wie sich der rassistische Diskurs in den letzten zwei Jahrzehnten geändert hat.
Quelle: junge Welt, 25.01.2010, S. 15
RezensentIn: Sebastian Friedrich
Erschienen bei Rotbuch Verlag 2009, 16,90 Euro. Sie können dieses Buch bei Amazon bestellen.
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