Greg Jackson:
Tötet den Bullen in eurem Kopf!
Zur US-amerikanischen Linken, White Supremacy und Black Autonomy
Das Buch liefert Einblicke in eine auch in Deutschland notwendige Diskussion über Rassismus, weiße Vormachtsstellungen und Emanzipationsprozessen innerhalb der US-amerikanischen radikalen Linken.
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Seit der Wahl Barack Obamas zum US-Präsidenten scheint die Frage, ob ein Schwarzer Befreiungskampf in den USA noch notwendig sei, hinfällig. Es wurde ja der praktische Beweis geliefert, das im Land der Freiheit jeder es zu etwas bringen könne.
Das ist jedoch nur die oberflächliche Betrachtung, die nicht alle nicht-weißen Menschen in den USA teilen. Vor allem bei den politisch Linken gibt es Organisationen, die immer noch die Notwendigkeit eines weitergehenden Kampfes sehen. Über diese Organisationen, genauer über das Werk von Greg Jackson, einem anarchistischen Aktivisten, ist nun im Unrast-Verlag - mit einem Vorwort von Gabriel Kuhn – das Buch „Tötet den Bullen in eurem Kopf“ erschienen.
In dem Büchlein werden zwei einflussreiche Texte aus den 1990ern auf deutsch veröffentlicht, des Weiteren gibt er ein Interview über den Stand der nicht-weißen anarchistischen Bewegung im Jahr 2003, überdies wurden einige original Dokumente der „Federation of Black Community Partisans“ auf deutsch übersetzt. So liefert das Buch einen guten Einblick in diese spezielle amerikanische Diskussion. Zentrale Fragen sind die Definierung eines „Schwarzen Anarchismus“ in den USA, gerade in Abgrenzung zur weißen (auch radikalen) Linken, aber auch zu den kulturell afrikanisch-nationalistischen und religiösen Strömungen unter den Africanamericans. Zwar können nicht-weiße AnarchistInnen an verschiedene Theorien der anarchistischen Geschichte anknüpfen, doch es wird eine Entfremdung zwischen der Lebensrealität der Schwarzen Bevölkerung und der politischen Praxis der amerikanischen Linken kritisiert. Ins Auge sticht das Beispiel der Betonung der revolutionären Arbeiterklasse durch die marxistisch-leninistische Linke in Amerika, die in einem krassen Widerspruch zu den Erfahrungen der nicht-weißen Bevölkerung steht. Nach der Analyse Jacksons ist der Rassismus ein Phänomen, von dem alle Weißen unabhängig ihrer Klassenlage profitieren, und an denen sich sehr viele nur all zu bereitwillig beteiligen. So haben Schwarze ArbeiterInnen schlechtere Arbeitsverhältnisse und es kommt einigen weißen ArbeiterInnen wohl gerade recht, wenn sie nicht als erste ihre Arbeitsplätze verlieren. Eine Linke, die eben diese Arbeiterklasse zum revolutionären Subjekt verkläre, mache sich eben auch zum Komplizen des Rassismus. Die weiße Linke wird aber zu einer solidarischen und respektvollen Zusammenarbeit und einer Reflexion der rassistischen Grundlagen des eigenen Handelns aufgefordert. Das Verhältnis der nicht-weißen AnarchistInneen zur Tradition der Schwarzen Befreiungsbewegungen ist komplexer. Auf der einen Seite wird ein Schwarzer Nationalismus kritisiert, das Projekt eines „eigenen“ afrikanischen Nationalstaates wird zum einen als unrealistisch, zum zweiten aber auch aus einer anti-staatlichen Perspektive kritisiert. Auf der anderen Seite wird festgestellt, dass es hier eine lange Tradition der Widerständigkeit und der Solidarität gibt, angefangen von dem solidarischen Kampf gegen die Sklaverei, über die Black Panthers bis zu verschiedenen radikalen Gruppen der letzten Jahre. Gerade das selbstbewusste Auftreten der Black Panthers, die sich gegen Polizeischikanen mit einem sehr bestimmtes und oft auch bewaffnetes auftreten zu Wehr setzten, scheint eine Inspiration für heutige nicht-weiße Anarchisten zu sein.
Das Buch liefert trotz seiner Kürze einen guten Einblick in die aktuellen und historischen Debatten nicht-weißer Anarchisten in Nord-Amerika. Inhaltlich gibt es einige Punkte, die bedenklich sind, zum einen wird an einer Stelle das historische Leid der Africanamericans als Holocaust bezeichnet. Zwar gibt es in Amerika einen Diskurs, in dem verschiedene Formen der Sklaverei und des Genozids (durch die Sklaverei starben mehrere Millionen Menschen) schlicht als Holocaust bezeichnet werden, dieser Begriff also nicht mehr allein als Beschreibung für den Massenmord der Nazis an den Juden im Zweiten Weltkrieg verwendet wird. Trotzdem ist diese Verwendung des Wortes Holocaust zu kritisieren da er die Singularität der Shoah aufzuheben droht. Weiter bedenklich ist die Frage, inwiefern der Kampf in Gruppen, die sich über eine ethnische Zugehörigkeit definieren und deren Ziele sich in diesen Kategorien bewegen („kollektive Selbstbestimmung“), die Grundlagen des rassistischen Denkens überwinden können. Dies ist eine Frage, wo ich mir nicht sicher bin, zwar scheint es notwendig für die verschiedenen Situationen, in denen sich Menschen befinden, verschiedene Aktions- und Organisationsformen zu finden, doch muss darauf geachtet werden, dass diese auf eine Auflösung der Differenz und nicht auf ihre Zementierung zielen. Doch angesichts ihrer Kritik des Schwarzen Nationalismus scheinen die nicht-weißen AnarchistInnen eine reflektierte Position hierzu zu haben. Bei der Lektüre des Buches fällt auch sehr die kämpferische Sprache auf. Auch der Praxis-Bezug der nicht-weißen AnarchistInnen fällt angenehm auf. Sie scheinen sich tatsächlich in den jeweiligen gesellschaftlichen Kämpfen zu organisieren oder auch praktisch etwas gegen Polizeigewalt, etwa in Formen von „Copwatch“-Programmen, zu unternehmen. In diesen Programmen wird die Polizei von den Bürgern bei seiner Arbeit überwacht.
Trotz der inhaltlichen Kritik ist das Buch auf jeden Fall lesenswert, es gibt nicht nur Einblicke in eine Debatte in der radikalen US-Linken, sondern regt auch dazu an, über sich selbst nachzudenken: die radikale Linke in Deutschland ist ebenso wie die kritisierte amerikanische sehr stark von weißen Männern dominiert. Weitere Fragen, die man aus dem Buch mitnehmen kann, ist etwa die Überlegung, wie sich in Deutschland nicht-weiße Linke organisieren können, gibt es Gemeinsamkeiten oder Anschlussmomente mit den Debatten in den USA? Schade ist allerdings, dass die meisten Beiträge, so auch das Interview mit Greg Jackson, aus der Zeit vor der Wahl Obamas stammen, also in dem Buch nicht explizit zum ersten nicht-weißen Präsidenten Stellung genommen werden kann. Wer aktuelle Informationen sucht, kann sich auf der Homepage der „Anarchist People of Color“ umschauen.
RezensentIn: Gerald Whittle
Erschienen bei Unrast Verlag 2009, 7,80 Euro. Sie können dieses Buch bei Amazon bestellen.
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