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Büchertipps / Rezensionen



Titelbild
Werner Rügemer (Hg.) :

ArbeitsUnrecht
Anklagen und Alternativen

In der Zusammenstellung aller Beiträge für die Konferenz im März 2009 in Köln tritt die allseitige Umklammerung der Gewerkschaftsmacht in sämtlichen Bereichen eindrucksvoll vor Augen.


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Rügemer als Herausgeber fasste das Ergebnis der Konferenz zu Beginn folgendermaßen zusammen:

“Bei der Konferenz "Arbeits-Unrecht" in Köln wurde gegen die weit verbreitete Praxis der Verdachts- und Bagatellkündigung eine Petition (www.1euro30.de) in die Wege geleitet. Solche Kündigungen stützen sich auf Richtersprüche, die sich nach und nach zu einem Richterrecht verfestigten. Es stellt einen besonders drastischen Fall von Arbeits-Unrecht dar und muss endlich öffentlich angeprangert und abgeschafft werden. Alte, teure Beschäftigte raus - junge, billige rein.

Verdachts- und Bagatellkündigungen spielen für die Unternehmensführungen in der Finanz- und Wirtschaftskrise eine zunehmende Rolle. Wie bei der Berliner Kassiererin wird sie nicht nur eingesetzt, um unliebsame Betriebsräte und Streikaktive loszuwerden, sondern auch, unterstützt von spezialisierten Anwaltskanzleien, um langjährige und qualifizierte Beschäftigte hinauszudrängen, die dann durch jüngere, billigere und befristet Eingestellte ersetzt werden.

Die Verdachts- und Bagatellkündigung ist Teil des Sonderstatus', den das Arbeitsrecht und damit das Verhältnis zwischen Beschäftigten und "Arbeitgebern" bzw. Arbeitwegnehmern einnehmen. Prinzipien, die für ein Rechtsstaatssystem als grundlegend angesehen werden, gelten hier nicht. Dazu gehört die Unschuldsvermutung, die bis zu einer rechtsgültigen Verurteilung zu gelten hat. Sie gilt im Arbeitsrecht, jedenfalls für abhängig Beschäftigte, nicht. [...]

Nur über all die rechtlichen Einschränkungen entstand die dauerhafte und extreme Epressbarkeit der (Noch-)Beschäftigten, Niedriglöhner und Arbeitslosen. Nur so konnte sich die neue Freiheit der Investoren und privaten Kapitaleigentümer entfalten. Die prinzipielle Aufwertung der Arbeitsverhältnisse und der unverschuldeten Arbeitslosigkeit - in (menschen)rechtlicher, finanzieller, moralischer und kultureller Hinsicht - ist deshalb notwendiger Bestandteil einer demokratischen und ökonomisch verantwortbaren Krisen-Lösung.”


Soweit Rügemer selbst im Versuch einer Zusammenfassung. Die Einzelbeiträge des Sammelbandes lassen sich nur exemplarisch herausgreifen und bewerten: Insgesamt ein bemerkenswerter Versuch, die Lage der Arbeiterklasse in der Bundesrepublik zu bestimmen, und zwar sowohl durch staatliche Regulierung wie auch der psychischen Konstituierung nach.

Wichtigstes Erkenntnis, die alle einzelnen Beiträge durchzieht: es gibt das unmittelbare Empfinden der Zusammengehörigkeit innerhalb der Klasse nicht mehr. Also genau nicht mehr das, was ursprünglich als Grundlage eines jeden Klassenbewusstseins angesehen worden war. Der Zustand der einzelnen Arbeiterin und des individualisierten Arbeiters ist zugleich Voraussetzung und Ergebnis des laufenden Prozesses.

Innerhalb des Sammelbandes finden sich folgende Mittel der Zerschlagung der Arbeitereinheit:

- Typus Umwerbung Hansens: Wie schon der Roman-Bericht "Union der starken Hand" aus den zwanziger Jahren berichtet, ist es durch Umsetzung in ein anderes Milieu mit entsprechend herrschenden Denkformen immer wieder möglich, gewählte Vertreter der Arbeiterschaft so umzudrehen, dass sie die schärfsten Lohndrücker werden. (Hans Gerd Öfinger: System Hansen. Die gezähmte und integrierte Gewerkschaft )

- Vor allem durch Gesetzesänderung vollzogene Abspaltung einer riesigen Menge von Leih-Arbeitern in allen möglichen Rechtsformen von der Gesamtheit der Grundbesatzung. eines Werks. (Hermann G. Abmayer: Leiharbeit. Menschen als Sachkapital)

- Massenbenebelungen durch Voraussagen über Altersarmut und entsprechende kollektivierende Wahnideen von "unserer Wirtschaft". (Werner Rügemer: Kein Skandal. Die mediale Zer-Arbeitung des Arbeitsunrechs)

- Freiwilliger Lohnverzicht usw. (Jörn Boewe: Unbezahlte Mehrarbeit als systemische Profitquelle)

- Legitimierung “gelber Gewerkschaften” zur tariflichen Absicherung minimaler Löhne (Daniel Behruzi: “Gelbe Organisationen” als kriminelle Lohndrücker)

Schon diese herausgenommenen Einzelaufsätze schließen sich zusammen zum Bild einer Klasse und ihrer Organisation - Gewerkschaft - in äußerster Bedrängung. Die SPD - einmal gegründet zur Zusammenfassung und Stärkung der Arbeiterbewegung - wird in dieser Rolle gar nicht mehr erwähnt. Sie kommt nur als Kampforgan in den Händen Schröders vor, der an den meisten der aufgezählten Entwicklungen die Hauptschuld trägt.

Welche Abwehrmöglichkeiten sehen die Autoren?

So scharf die Analyse, so undeutlich die Ratschläge zur Abhilfe. Mit Notwendigkeit. Im letzten Beitrag wird juristisch die Möglichkeit des politischen Streiks diskutiert. Nur dass die wirklichen politischen Streiks nie so zustande kamen, dass erst im Parlament eine Erlaubnis gegeben wurde. Gerade in diesem Punkt gilt: Es gibt nichts Gutes - außer man tut es. Auf einen solchen Fall müssen wir noch warten. (Franz Kersjes: Des politische Streik)

Also erst mal kleinere Eingriffe! Was immerhin möglich sein sollte: eine Gesetzesänderung im Bundestag, nach welcher die Begriffe der “Bagatelltat” und des “Mundraubs” aus dem allgemeinen Recht ins Arbeitsrecht eingetragen werden. Tatsächlich ist das Arbeitsrecht seit seiner Wiederbegründung in der Republik geprägt durch Nipperdey und Forsthoff, zwei altgedienten Volksgemeinschaftsdenkern in der NS-Zeit, durch die Wahnidee vom besonderen Vertrauensverhältnis zwischen Herr und Knecht. Auch wenn sich zwischen den Oberen und Unteren Welten auftun und normalerweise keinerlei Bekanntschaft herrscht. (Vgl. den Artikel aus SPIEGEL-print 30.11.09/S.46ff: “Der Bienenstich-Paragraph“)

RezensentIn: Veegd, Konrad

Erschienen bei Westfälisches Dampfboot 2009, 24,90. Sie können dieses Buch bei Amazon bestellen.


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