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Büchertipps / Rezensionen



Titelbild
Antonio Negri/ Raf Valvola Scelsi:

Goodbye Mr. Socialism
Das Ungeheuer und die globale Krise

Ein Gespräch über die Notwendigkeit und Chance, die Welt zu verändern - allerdings unter anderen Vorzeichen.


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Der Philosoph und Theoretiker der autonomen Linken, Antonio Negri, zusammen mit Michael Hardt Autor von Empire (2000) und Multitude (2004), gibt in einem Gespräch mit Raf Valvola Scelsi neue – zum Teil überraschende – Einblicke in sein Denken. Negri ist ein Phänomen der italienischen und internationalen Linken: Als Kritiker des Historischen Kompromiß zwischen DC und PCI der 1970er Jahre, also der christdemokratischen und der kommunistischen Parteien Italiens (Massenautonomie gegen den historischen Kompromiß, München 1977), die beide so politische heute nicht mehr präsent sind, musste er sich 1979 schließlich als angeblicher Kopf der Roten Brigaden vor Gericht verantworten und wurde ins italienische Parlament gewählt. Um sich einer erneuten Festnahme zu entziehen, floh er nach Frankreich ins Exil und kehrte 1997 nach Italien zurück, um seine Haft abzusitzen. Er lebt heute in Venedig und Paris.

Fast alle Versuche Negris Post-Operaismus zu interpretieren sind immer wieder glorreich gescheitert, nicht zuletzt weil der Autor seine Positionen immer wieder modifiziert und den Verhältnissen angepasst hat. So geht es nun in lockerer Folge über die Metropolenstreiks 1995 in Frankreich, Seattle und Genua, die Unabhängigkeitsbewegungen in Lateinamerika, Bewegungen, die er aus nächster Nähe begleitet und beeinflußt hat, bis hin zu einem höchst beeindruckenden Postscriptum über die aktuelle Krise vom Februar 2009 (We must try!).

Doch zunächst plaudert der Autor amüsant über seine eigene politische Versuche zu intervenieren, z.B. anlässlich des Krieges gegen Ex-Jugoslavien in einer Veranstaltung mit dem serbischen Regisseur Emir Kusturica (Underground, 1995) und dem slovenischen Philosophen Slavoj Zizek, auf der Kusturica beinahe den dem rechten Regime Kroatiens nahestehenden Historiker Mirko Drazen Grmek verprügelte. Oder aber in der durchaus kontroversen Diskussion mit Scelsi zum berühmt-berüchtigten Schwarzen Block in Genua folgende Meinung vertritt: „Was ich dem Schwarzen Block vorwerfe, ist nicht die Revolte, sondern dass die Revolte nicht die Gemeinsamkeit mit den anderen sucht und stattdessen gegen sie richtet: es geht dem Schwarzen Block um einen Reinheitsanspruch, der hochgradig individualistisch auftritt und der ihn isoliert“ (Seite 88). Er lobt sehr pragmatisch die Mobilisierung der Rifondazione Communista (Kommunistische Wiedergründung) und ihres Vorsitzenden Bertinotti zu Genua, der es allerdings danach durch die Duldung der Prodi-Regierung geschafft habe, die Partei ins absolute Aus zu schicken und schließlich alle Sitze im italienischen Parlament verlor. Überhaupt stimme die Situation in Italien alles andere als optimistisch, dem aber eine weltweite Entwicklung entgegensteht, welche einen von seinem Gesprächspartner befürchteten Rückschlag verunmögliche. Besonders ermutigend seien die Entwicklungen in Lateinamerika, wobei er vor allem Brasilien hervorhebt, ein Land, welches er sehr gut kennt und oft besucht hat - mit einer stark entwickelten Arbeiterbewegung und einer Form der Befreiungstheologie, die als transversales Element agiere. Die Bemühungen dort einen gemeinsamen Markt Südamerikas zu schaffen, den Mercosur, laufen gegen die US-Interessen. Hier ist er also wieder, der alte Triumphator, wie ihn Kritiker möglicherweise zu früh gescholten hatten, der vor allem einer sozialdemokratisierten Linken wie ein Stachel im Fleisch hängt. Gerade in der aktuellen Finanzkrise habe diese vollkommen versagt und außer antizyklischen Staatsmaßnahmen nichts anzubieten. Hier setzt Negri sich mit den Positionen der Weltsystemtheorie von Wallerstein und Arrighi sowie von Karl Heinz Roth auseinander, denen er entgegenhält: „Ich erzähle diese Geschichten, um zu verdeutlichen, dass es heute drei Pole sind - das globale Bürgerrecht, das mit den Bewegungen der Migration verknüpft ist, das bedingungslose Einkommen, mit dem die Prekarität ins Spiel kommt, und die Wiederaneignung des Wissens und des Lebens, was auf die Probleme der Organisation des Wissens, seiner Produktion, verweist, also letztlich auf die kognitive und affektive Arbeit insgesamt -, dass es also diese drei Felder sind, Migration, Prekarität, sowie kognitive und affektive Arbeit, die eine objektive Einheit bilden“ (Seite 230). Wie oft er haarscharf daneben liegt? Einige Male, etwa in der Einschätzung Obamas oder seine -wie so oft- viel zu schwärmerische Umschreibung der neuen Technologien.

Zweifellos ist es der feinfühligen Gesprächsführung von Scelsi zu verdanken, dass die Diskussion nicht kippt, der immer wieder beharrlich nachfragt, gelegentlich auch widerspricht oder eine andere Sicht der Dinge vermittelt. Er ist ein Freund von Negri, publiziert zu neuen Medien, sowie Technologien und ist als Historiker im Lektorat bei Feltrinelli tätig. Antonio Negris gelegentlich seiner Zeit vorauseilenden, jedenfalls meist schwer zu interpretierenden Theorien, werden weiter für Gesprächstoff sorgen: Hallo und Goodbye Mr. Socialism!

RezensentIn: Adi Quarti

Erschienen bei Edition Tiamat 2009, 16,00 Euro. Sie können dieses Buch bei Amazon bestellen.


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