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Büchertipps / Rezensionen



Titelbild
Julia Friedrichs/ Eva Müller/ Boris Baumholt:

Deutschland dritter Klasse
Leben in der Unterschicht

Ein journalistischer Bericht über jene Menschen, die man neuerdings auch in der Politik als Unterschicht bezeichnet, zugleich ein Bericht über Hartz IV, Ausgrenzung, Armutslöhne und so genannte Förderschulen


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Die junge Journalistin Julia Friedrichs hat schon vor einiger Zeit mit „Gestatten: Elite“ für Aufsehen gesorgt. Für jenes Buch reiste sie mehrere Monate quer durch Deutschland, um verschiedene „Elite“-Einrichtungen für junge Leute zu besuchen – insbesondere Schulen und Hochschulen. Kritisch zeigte sie auf, dass es kein einheitliches Elite-Verständnis gibt, Elite mit Leistung nichts zu tun hat und der einzige gemeinsame Nenner aller „Eliten“ eine Abgrenzung nach unten gegenüber Mittel- und Unterschichten ist. Letzterer hat sich Friedrichs nun in einem neuen Buch zugewandt, an dem sie gemeinsam mit Eva Müller und Boris Baumholt gearbeitet hat.

Unterschicht, das umfasst in den Augen der Autor(inn)en ein breites Spektrum an Menschen, die aus der Gesellschaft faktisch dauerhaft ausgeschlossen sind: Ungelernte Arbeitslose ebenso wie alleinerziehende Mütter, in Hartz-IV-Familien aufgewachsene Kinder und Jugendliche ebenso wie Leiharbeiter(innen). Sie alle leben vom Hand in den Mund, werden von Ämtern und Arbeitgebern schikaniert und sehnen sich auf unterschiedliche Weise im Grunde doch nur nach Teilhabe und Anerkennung. Dass dieses Ziel letztlich lediglich drei der im Rahmen der Recherchen über mehrere Monate begleiteten Menschen erreichen, mag aussagekräftig genug sein. Dass dies in zwei Fällen nur durch Auswandern und im dritten Fall aufgrund einer öffentlichkeitswirksamen TV-Dokumentation möglich war, unterstreicht das Bild einer in zunehmender Ungleichheit und Ausgrenzung erstarrenden deutschen Gesellschaft besonders nachdrücklich.

Ihre Recherche führt die Autor(inn)en an verschiedene Orte: in Privatwohnungen, zu einer Leiharbeitsfirma, zu einem Catering-Unternehmen, in Schulen, in Arbeitsagenturen und nicht zuletzt in ein Gefängnis. Mehrfach besuchen sie dabei eine so genannte Förderschule für Schülerinnen und Schüler mit vermeintlichen Lernproblemen in Wattenscheid. Sie stellt das vielleicht nachdrücklichste Beispiel dafür dar, dass Armut und Ausgrenzung in Deutschland vererbbar geworden sind. Worin die spezifische Förderung dieser aus armen und oft genug zerrütteten Familien stammenden Kinder und Jugendlichen bestehen soll, bleibt angesichts eines eklatanten Mangels an Geld und Personal offen. Dass so gut wie niemand von ihnen nach der Schule eine auch nur minimale Chance auf einen Ausbildungsplatz hat, überrascht vor diesem Hintergrund nicht. Zwei erschreckende Sachverhalte sind daher nur konsequent: Zum einen, dass die Schülerinnen und Schüler an eine bessere Zukunft selbst nicht zu glauben vermögen und sich entsprechend auf ein Leben in Hartz IV, Armut und Ausgrenzung vorbereiten. Zum anderen, dass der Direktor der Schule sie auf dieses Leben mit entsprechenden Rechenaufgaben und Unterrichtsthemen vorbereitet – und ihnen damit die Illusion einer besseren Zukunft vollständig nimmt.

Bücher wie dieses bringen die Debatte um soziale Gerechtigkeit und Ausgrenzung gewiss nicht voran. Sie können aber die Problematik, um die es geht, anschaulich vor Augen führen. Wenngleich hieraus wohl nicht mehr als ein erster Anstoß zur Veränderung folgen kann, so ist dies doch ein erster Schritt. Dass es darüber hinaus einer radikalen Absage an Neoliberalismus und eines aktiven Widerstands gegen die selbsternannten Eliten dieses Landes bedarf, wird in diesem Buch zwar nicht geschrieben – aber auch nicht bestritten. Insofern lohnt sich die Lektüre im Bewusstsein, dass hier nur die Hälfte der Problematik zu finden ist, gleichwohl ist es eine erschreckende Problematik.

RezensentIn: Jan Peter Althoff

Erschienen bei Hoffmann und Campe 2009, 14,95. Sie können dieses Buch bei Amazon bestellen.


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