Reinhold Knopp/ Thomas Münch (Hg.):
Zurück zur Armutspolizey
Soziale Arbeit zwischen Hilfe und Kontrolle
Ein umfassender Überblick über die Veränderungen innerhalb der Sozialen Arbeit nach dem Sozialstaatsabbau der letzten Jahre
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In den 1970ern war der Hörsaal während des Studiums der Sozialarbeit noch ein Sammelbecken politischer AktivistInnen. Und was ist heute, wo doch die gesellschaftlichen Widersprüche größer denn je scheinen? Was ist aus der Profession geworden, die im gesellschaftlichen Bereich wie keine andere die Verknüpfung zwischen Theorie und Praxis herstellt und sich dadurch bestens für politische Arbeit eignet? Kaum hörbar war und ist der Protest gegen die allmähliche Vernichtung des Sozialstaats und Degradierung der KlientInnen durch menschenunwürdige „Reformen“ wie Hartz IV.
Doch es gibt auch leise kritische Stimmen. Ein Beispiel dafür ist eine Veranstaltungsreihe der Fachhochschule Düsseldorf. Der Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften veranstaltete im Zeitraum 2005 bis 2006 eine Reihe zum Thema „Zurück zur Armutspolizey? Soziale Arbeit zwischen Hilfe und Kontrolle“. Der Armutspolizey ging es im 18./19. Jahrhundert darum, die Armen zu kontrollieren, möglichst einer Arbeit zuzuführen - unter Umständen im Arbeitshaus - und vor allem: die Menge dieser „Paupers“, wie Marx sie nennt, von jeder kollektiven Einforderung ihrer Rechte abzuhalten. Wer sich noch an Dickens “Oliver Twist” erinnert, stößt fast auf jeder Seite auf Zeugnisse dieser Armutspolizey. Inwieweit dieser Vergleich zunehmend der Realität entspricht, wurde von ReferentInnen aus Theorie und Praxis untersucht.
Kurzübersicht
Einen hervorragenden Überlick über die Zuspitzung des Kapitalismus in den vergangenen Jahren, und die daraus resultierenden Konsequenzen für Sozialstaat und Sozialarbeit, liefert der erste Beitrag von Michael Galuske. Wenn die Entwicklung so weiterginge, resümiert der Autor, „hieße dies, die professionellen und disziplinären Erträge der letzten 30 Jahre auf der Müllhalde des Marktes abzuladen.“ (27)
Anschließend widmet sich Reinhold Knopp einer Bestandsaufnahme kritischer Sozialer Arbeit. Es müsse es darum gehen, sich für das „allgemeine Interesse“ der Gesellschaft einzusetzen, das konträr zu den Interessen steht, die mit kapitalistischer Produktions- und Herschaftsweise verbunben sind. Eine Parteinahme für dieses allgemeine Interesse - konkret der Sozialen Gerechtigkeit - müsse „allerdings sowohl die Frage des Zugangs zu den gesellschaftlichen Chancen als auch nach der Verteilung der Lebensgüter beinhalten.“ (48)
Christian Spatscheck kommt in seiner Arbeit über die fachlichen Perspektiven zu einem ähnlichen Resultat und spricht von der Notwendigkeit der aktiven Positionierung der Sozialen Arbeit durch Stärkung und Weiterbildung der Zivilgesellschaft. Dabei dürfe jedoch keinesfalls die Gefahr einer Legitimierung des Rückzugs sozialstaatlicher Institutionen unterschätzt werden. Gelinge dies, dann sei „der Anspruch einer Menschenrechtsprofession (...) nicht nur eine idealistische Utopie, sondern ein praktisch fassbares und begründbares Leitbild.“ (62)
Auf unterhaltsame und bisweilen polemische Weise zeichnet Thomas Münch die Traditionslinie des Zwangs – vor allem auch in der deutschen Sozialdemokratie – nach, bevor Manfred Kappeler anhand der Kategorien Hilfe und Prävention zeigt, wie eng die beiden Pole der Sozialen Arbeit – Unterstützung und Kontrolle – manchmal beieinander liegen und welche Fallen beide in sich bergen können.
Sabine Stövesand weist deutlich praxisorientierter darauf hin, dass das Handlungsfeld Gemeinwesenarbeit nicht zum Instrument lokaler Gewaltprävention verkommen soll. Dies setze jedoch voraus, dass sich SozialarbeiterInnen darüber im Klaren sind, „was Soziale Arbeit ist, was ihre Rahmenbedingungen, ihre Zielsetzungen, Aufgaben und Methoden sind; wo sie aufhört und was der Unterschied zu Ordnungspolitik und Polizeiarbeit ist.“ (113) Das kann aber nur mit einer kritischen Betrachtung der Wissenschaft gelingen. Auch die drei zentralen Forderungen für eine „zeitgemäße“ Soziale Arbeit (Prävention – AdressatInnenorienierung – Effizienz) müssen in diesem Zusammenhang untersucht werden – anregende Anknüpfungspunkte liefert Fabian Kessl.
Dass auch im Bereich der Bildung und Erziehung von Kleinkindern (Elementarpädagogik) zunehmend auf fordern statt fördern gesetzt wird, stellt Peter Bünder klar. Er resümiert: „Der Verdacht drängt sich auf, dass der zukünftige Bürger im Sinne der herrschenden Kräfte wieder mehr als „funktionierender Bürger“ gedacht und gewünscht wird.“ (140)
Nach einem kurzen Plädoyer von Uwe Becker für die Stärkung des zivilgesellschaftlichen Sektors als zukünftige Alternative zur klassischen Lohnarbeit, legt Utz Krahmer – ebenso kurz – dar, dass der in den letzten Jahren betriebene Sozialstaatsabbau kaum mit der „Ewigkeits-Garantie“ (Art. 79 Abs. 3 GG) zu vereinbaren ist.
Oliver Ongaro und Klaus Riekenbrauk schließen den Sammelband mit ihren Arbeiten über die Situation der Obdachlosen im „präventiven Sozialstaat“ ab. Besonders der Beitrag des Streetworkers Ongaro schildert anschaulich, fundiert und pointiert am Beispiel Düsseldorfs, wie sich die Broken-Windows-Theorie rechtskonservativer Kriminologen und die daraus resultierende Zero-Tolerance-Strategie durchgesetzt haben.
Fazit
Der Sammelband überzeugt durch eine breitgefächerte Analyse. Die sehr unterschiedliche Herangehensweisen liefern einen pluralen und abwechslungsreichen Einblick in die Widersprüche und Spannungsfelder der Sozialen Arbeit. Diese Breite geht - kaum vermeidbar - in einigen Beiträgen auf Kosten der notwendigen Tiefe. Eher zu vermeiden gewesen wären die äußerst häufig auftretenden Fehler in Orthographie und in Interpunktion.
Die wesentliche Stärke des Bandes ist aber, dass den aufmerksamen Leserinnen und Lesern Werkzeuge an die Hand gegeben werden, mit denen der Aufbau einer neuen -kritischen - SozialarbeiterInnen-Bewegung leichter fallen dürfte. Es wird langsam Zeit.
RezensentIn: Sebastian Friedrich
Erschienen bei Frank & Timme 2007, 24,80 Euro. Sie können dieses Buch bei Amazon bestellen.
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