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Büchertipps / Rezensionen



Titelbild
Taleb, Nassim Nicholas:

Der schwarze Schwan
Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse

Wie die Menschen die Möglichkeit unwahrscheinlicher und zufälliger Ereignisse verdrängen - und welche Auswirkungen das auf Wirtschaft und Politik hat


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Der Schriftsteller und – wohl eher selbsternannte – Wissenschaftler Nassim Taleb war Finanzmathematiker und Spezialist für Finanzprodukte. Beides verbindet er auch in diesem Buch in einer nicht immer widerspruchsfreien, aber doch immer spannenden Schreibweise zu seinem Lieblingsthema: der Frage, wie der Zufall unser Leben bestimmt und wie wir versuchen, ihn aus unserem Bewusstsein zu verdrängen. Damit verfeinert Taleb eine abgrundtiefe Abneigung gegen Mathematik, Statistik und Theorien, die ihn schon als New Yorker Trader auszeichneten. Schon sein erstes Buch, das 2001 erschienene „Narren des Zufalls“, wurde zu einem Renner gerade in jenen Kreisen des Finanzkapitals, die nur wenige Jahre später die Weltwirtschaft an die Wand fahren sollten. Dass Talebs Warnung vor überheblichem Glauben an Theorien und Modelle nicht gefruchtet hat, wird man ihm zu allerletzt vorwerfen können.

Der Titel des Buches, „Der Schwarze Schwan“, stellt eine Metapher dar: Solange niemand schwarze Schwäne gesehen habe, so Taleb, sei das Auftauchen eines schwarzen Schwans völlig undenkbar gewesen und habe jenseits des menschlichen Fassungsvermögens gelegen. Er verdeutlicht damit einen auf den ersten Blick vielleicht banalen, bei genauerer Betrachtung aber ganz und gar gravierenden Umstand: kein theoretisches, statistisches oder mathematisches Modell (zumindest in Gesellschaft und Ökonomie) kann den Zufall auch nur annähernd erfassen. Die Erfindung der Anti-Baby-Pille, der Zusammenbruch des Warschauer Paktes, der 11. September 2001 oder der Zusammenbruch von Lehman Brothers sind Ereignisse, die sämtliche Prognosen über den Haufen werfen und die in keiner Weise vorhersehbar waren. Auch gängige statistische Verfahren, wie etwa die Annahme von Normalverteilungen, müssen an ihnen notwendig scheitern.

Dass es dennoch Versuche in geradezu unbegrenzter Anzahl gibt, unser Handeln an Vermutungen über die Zukunft auszurichten, und dass wir diese Vermutungen aus der Vergangenheit ableiten, schildert und kritisiert er anschaulich. Es sei für die meisten Menschen schlicht bequemer, die Welt als strukturiert und verständlich zu behaupten. Wenngleich sich Taleb in weiten Teilen des Buches an Sozial- und Wirtschaftswissenschaften sowie an philosophischen Theorien abarbeitet, ist die wirtschaftspolitische Relevanz des Themas brisant: Wenn wir „schwarze Schwäne“ nicht vorhersehen können, wenn wir gegenwärtige Ereignisse nicht zu verstehen vermögen, wenn wir historische Ereignisse im Nachhinein verfälscht wahrnehmen und wenn wir Sachinformationen sowie deren Bearbeitung durch wissenschaftliche und politische Eliten überschätzen – dann entpuppt sich Wirtschaftspolitik jeglicher Couleur als Ideologie.

Man muss eine solch radikale Interpretation des Themas nicht teilen. Auch muss man die essayistische, schlaglichthafte Schreibweise Talebs nicht unbedingt mögen. Zudem muss man dessen empiristische wissenschaftstheoretische Position, die dem Ideal einer unideologischen Wahrnehmung von Fakten huldigt, nicht teilen. Dennoch schildert Taleb in einer streckenweise durchaus unterhaltsamen Form ein zentrales Problem, auf das weite Teile der politischen und wissenschaftlichen Eliten tatsächlich keine Antwort haben. Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) hat auf die Frage, ob man der derzeitigen Weltfinanzkrise nicht hätte rechtzeitig entgegenwirken müssen, geantwortet, dass man hinterher immer schlauer sei. Nein, möchte man ihm mit Taleb entgegenhalten, schlauer ist man weder hinterher noch vorher, weshalb eine gewisse erkenntnistheoretische Bescheidenheit vorher und hinterher gut zu Gesicht stünde.

RezensentIn: Althoff, Jan Peter

Erschienen bei Hanser 2009, 24,90. Sie können dieses Buch bei Amazon bestellen.


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