Jacques Lacan :
Die Übertragung
Das Seminar, Buch VIII 1960 - 1961
Lacan über Platon zu Freud und die Auswirkungen auf Philosophie und Psychoanalyse.
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Über die Lehrseminare von Jacques Lacan (1901 – 1981), Psychoanalytiker, Mediziner, Lehranalytiker, darüber was er nicht alles gesagt haben soll, bzw. worüber er nicht geredet habe, ist viel spekuliert worden. Im Passagen Verlag ist nun Das Seminar, Buch VIII erschienen und enthält seine Vorträge 1960 - ´61, ein gewaltige Brocken!
Der Band enthält, wie so oft bei Lacan über Umwege und Seitenpfade, Annäherungen und originelle Neuinterpretationen der Freudschen Theorie, in diesem Falle nachdenken über Die Übertragung. Ausgangspunkt ist das Das Gastmahl von Platon, jener rätselhaften Zusammenkunft in der griechischen Antike, in der man speiste, debattierte und nach festgelegte Riten möglichst nicht zu viel trank, nach Lacans Ansicht weil man noch einen Kater vom Vorabend hatte oder eben nicht, schwierig zu ermitteln, vor allem aber um sich in illustrer Runde zu vergnügen. Wie jeder weiss geht es hier um die Liebe, genauer, wie in der antiken griechischen Mythologie üblich um die Knabenliebe. Lacan: „Die griechische Liebe, an diese Vorstellung muß ich Sie schon gewöhnen, ist die Liebe zu schönen Knaben. Und dann, Gedankenstrich, nichts weiter“. Sokrates, der die dialektische Befragung bevorzugte um den Dingen auf den Grund zu gehen, bemerkt schließlich ob man etwas begehren könne, was man schon habe? Dieser Lehrer, der Sokrates zweifellos war, hatte allerdings seltsame Gewohnheiten, zum Beispiel blieb er manchmal stundenlang irgendwo und ohne ersichtlichen Anlass unansprechbar bewegungslos stehen, um nachzudenken wie seine Anhänger spekulierten. Auf dem Weg zum Gastmahl passierte das gleiche, so das man Sklaven losschickte um ihn zu suchen, wie Bertrand Russell, den Lacan natürlich kannte und mehrmals erwähnt, in seiner Philosphie des Abendlandes bemerkte. Er traf erst in der zweiten Hälfte des Gastmahl wieder ein, woran lid der Philosoph? Lacan nennt es eine Krise. In dieser durchaus komischen Tragödie, die dieses Gastmahl ist, von der man nicht weiss ob die Dialoge lediglich Platons subjektiven Absichten folgen, wo doch ausgerechnet die Dümmsten das Beste über die Liebe sagen, nun, die Dramaturgie verschiebt sich nun, bekommt Spannung. Der betrunkene Alkibiades übernimmt nun die Szenerie, sein Vortrag ist aber seltsam skandalös, hatte er nun, oder hatte er nichts mit Sokrates? – der wiederum einfach behauptet, all das habe Alkibiades für den schönen Dichter Agathon gesagt. Er verschiebt ganz einfach, überträgt! Lacan ist ein ausgezeichneter Erzähler, und im Vorübergehen stellt er seine surrealistischen Freunde, z.B. Maurice Merleau-Ponty oder Melanie Klein vor, seine psychoanalytische Konkurrentin. Auch die Psychologie der Reichen wird analysiert, denen es darum ginge ihre psychologischen Investmentfons zu plazieren. „Das Idealich ist ein Sohn aus reichem Hause am Steuerrad seines kleinen Sportwagens. Damit wird er Ihnen das Land zeigen. Er wird den Schlaukopf spielen... In Wirklichkeit läßt es das Idealich nicht ganz allein und ohne Objekt , weil es letztlich bei einer solchen Gelegenheit, nicht bei allen, wenn der Bursche sich diesen schlüpfrigen Übungen hingibt, geschieht das wozu? – um ein Mädchen einzufangen“. Schöne Umschreibung für einen Narzismus, der leider gelegentlich grenzenlos ist.
Der Zustand der Übertragungsliebe, wie sie ursprünglich bei Freud hieß, ist in der Fallgeschichte Dora, einer als hysterisch diagnostizierten Patientin, zum ersten Mal etwas umständlich und mit spitzen Fingern umschrieben, die etwas infantile Verliebtheit einer Analysierten zum Therapeuten. In der therapeutischen Praxis ist sie allerdings nicht vollkommen unbekannt und in der Folge – kann Liebe übertragbar sein, wer überträgt hier was? - mit unterschiedlichen Schlussfolgerungen als Übertragung diskutiert worden. Lacan ist es zu verdanken die Klassiker (und nicht nur die), noch einmal völlig neu vorgestellt zu haben. Auch Freud selbst, seine Definition des Phallischen wird in Teilen vollkommen neu interpretiert, als ein duales, sowohl männliches als auch weibliches Verhältnis. Hier nimmt Lacan die feministische Kritik vorweg. Es wird auf französische Filme und Regisseure der 1950er-Jahre verwiesen, es dürfte aber nicht schwierig sein zeitgenössische Adaptionen zu finden, wenn auch gewiss nicht bei der ehemaligen Reichsgletscherspalte Leni Riefenstahl. Etwa Wild at Heart von David Lynch, Nicolas Cage und Laura Dern haben sich schon gefunden und reisen im Chevvy durch die USA und treffen in einem heruntergekommenen Motel auf den einen fiesen Mexikaner gebenden Willem Defoe, welcher Laura Dern begehrt, er will sie... Am Ende gibt Nicolas Cage persönlich, natürlich in Schlangenlederstiefel, Love me Tender von Elvis! Auch Sue – Eine Frau in New York (1997) von Amos Kollek fällt in diese Kategorie, wenn auch ganz anders gelagert. Die wunderbare Anna Thomson (Sue) spielt eine urbane Tragödie einer vereinsamten psychisch kranken Frau, inklusive der manchmal verstörenden Verwicklungen des Begehrens. Dazu kommen, es wäre komisch für Lacan gewesen wenn nicht, seltsame Landstriche in denen ein Grossteil der Bevölkerung sozusagen vollkommen aus Spürhunden, Spähern, Spitzeln, Denunzianten, Staatsanwälten, Belastungszeugen usw. bestehen, die alle unter der Leitung und Besoldung von Staatsminister und ihrer Beauftragten stünden, wie bei Swift in Gullivers Reisen, dies sind gewissermassen die Zugaben seiner Vorträge.
Lacan zu zuhören, vor allem ihn zu lesen, ist eine Anstrengung die sich auf jeden Fall lohnt. Jochen Bonz schickt ihn in seinem neuen Buch Subjekte des Tracks geradewegs auf die Tanzflächen des Spiegelstadium, ausgerechnet dort zeichne sich seine Neurezeption ab.
RezensentIn: Adi Quarti
Erschienen bei Passagen Verlag 2008, 68,00 Euro. Sie können dieses Buch bei Amazon bestellen.
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