Marc Thörner:
Der falsche Bart
Reportagen aus dem Krieg gegen den Terror
Thörner zerlegt systematisch die von gewissen Kreisen verbreitete Propaganda-Idee, es gebe einen einheitlichen Islam, der auf der ganzen Welt als Ursprung allen Terrors bekämpft werden muss.
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Die erste Überraschung: der Autor des Buches ist freier Mitarbeiter der ARD.
Von all dem, was er über die total verschiedenen Formen des Islam weltweit zu berichten weiß, ist meiner Kenntnis nach kaum etwas durch die Filter der Öffentlichen Anstalten gedrungen. Wahrscheilich nicht einmal aus entschlossenem Willen zur Lüge, sondern durch das brutale Zeitmanagement. In den offiziellen anderthalb Minuten lassen sich kompliziertere Zusammenhänge kaum klar machen. Hinzu kommt, dass das am schnellsten rüberkommt, was dem entspricht, das sowieso schon in jeden Kopf eingefüllt ist. Die Glaubhaftigkeit der Aussagen Thörners bestätigt sich durch das Ausscheiden Tilgners aus den Diensten der ARD, mit der ausdrücklichen Begründung, man finde höchstens die Hälfte seiner Hintergrundbeiträge dann in Sendungen wieder.
So kommt es, dass Marc Thörner auf das altertümliche Medium Buch zurückgreifen muss, in einem kleinen Verlag, um das auch noch loszuwerden, was nie den Bildschirm erreichte.
Sein erstes Ergebnis, noch nicht sehr überraschend: genau wie im Christentum gibt es im Islam die größten Unterschiede.
Welche Allgemeinaussage ließe sich treffen, die für koptische Christen in Äthiopien passen würde, und zugleich auf eine Bergbauerngemeinde in Südtirol, den Hauptbewohner der Vatikanstadt und schließlich noch auf die apostolische Gemeinde in Cincinnati. Genau wie mit jeder anderen Weltreligion steht es mit dem Islam.
Ein anschauliches Beispiel liefert gleich Afghanistan. In der Nähe des deutschen Lagers Mazzar-e-Sharif findet sich eine Moschee, in der der Scheich sich erbittert gegen die Taliban äußert. Die kennen nur Schwarz-Weiß, verbieten, den heiligen Schrein Alis zu küssen, wenden sich gegen den Gräberkult und die Heiligenverehrung, die dem Geistlichen sufitischer Richtung am Herzen liegen. Im Licht europäischer Aufklärung wirken die Taliban in ihrem Aktivismus moderner, westlicher. Nur natürlich auch gefährlicher.
Nicht weit davon aber findet sich ein Radio-Studio, nur von Frauen betrieben. Die haben die Tradition des Islam durchforscht und wenden sich gegen die Rechthaberei sowohl der traditionellen
Imame wie der Taliban. Sie kümmern sich nicht um die wechselnden Aussagen, nicht nur aus dem Koran geschöpft, sondern aus den Hadith, der mündlichen Überlieferung Dadurch ließen sich zum Tschadorzwang und zur Einschätzung der Frau ganz unterschiedliche Aussagen gewinnen.
Dass die Tschadors außerhalb Kabuls so verbreitet sind wie vor und nach der Zeit der Taliban, wird vom Autor als bekannt nur nebenbei erwähnt.
Interessant die Blicke des Autors auf Usbekistan, von wo aus fast alle deutschen Lufttransporte nach Afghanistan weitergeleitet werden. Dort herrscht eine mehr oder weniger offene Diktatur, mit wechselnden Anfällen gegen angebliche Islamisten, um sich im Westen anzubiedern. Lohn dieser Politik: als sehr viele Staaten die Beziehungen zu Usbekistan abbrachen, wegen flagranter Menschenrechtsverletzungen, da hielt die Bundesrepublik treu zum stützpunktgewährenden Staat (Erst nach dem Erscheinen des Buchs stellten sich die merkwürdigsten Beziehungen der usbekischen und deutschen Geheimdienste zu der sogenannten Sauerland-Truppe heraus, deren erfolgreiche Bekämpfung seither immer neue Polizeibefugnisse rechtfertigen muss).
Ein anderer Blick auf den Irak. Nachdem den Mehrheitsverhältnissen entsprechend die Mehrheit in der -total abhängigen- Regierung den Schiiten zufiel, kam es zu verblüffenden Annäherungen an eine sunnitische Gruppe. Unmittelbar nach der Hinrichtung Saddam Husseins brachte eine militärische Truppe die Leiche zur Beerdigung ins heimische Tikrit. Darauf stattete eine Delegation der Richtung, die die Hinrichtung am leidenschaftlichsten betrieben hatte, einen Beileidsbesuch ab beim Clan des Versorbenen. Der jetzige Älteste nahm huldvoll die Entschuldigung an, allerdings unter der Bedingung, dass seine Stammeskrieger wieder offen Waffen tragen dürften. Seither versehen diese ehemaligen Treuesten der Treuen Saddams wie ehe und je den Ordnungsdienst in der Region Tikrit. Und eine frohe Meldung gerät ins Fernsehen: schon wieder eine Region befriedet. Das hätte man freilich auch einfacher haben können.
Zweiter Schwerpunkt der Reportagenserie Thörners: die mehr oder weniger offene Zusammenarbeit der meisten Regimes, die offiziell als proamerikanisch gelten und zur “Allianz der Willigen” zählen mit eben den islamischen oder gar islamistischen Gruppen, die genau so offiziell als der Feind an sich gezählt werden.
Beispiel Ägypten: So laut nach außen die Moslem-Brüder verfolgt werden, so eng herrscht in der Innenpolitik Arbeitsteilung. Die Regierung Barak hat Armee und Polizei fest im Griff, überlässt aber die Bekämpfung der Aufsässigen im Inneren eben dieser Religonsrichtung -vor allem solcher auf islamischer Basis nicht orthodoxer Ausrichtung.
Besonders auffällig diese Zusammenarbeit in den drei Maghreb-Staaten Marokko, Tunis, Algerien. Wobei der Autor -gestützt auf Zeugenaussagen- den französischen zusammen mit dem algerischen Geheimdienst offen beschuldigt- einzelne muslimische Terrorgruppen unterwandert zu haben, zum Beispiel bei der aufsehenerregenden Ermordung einer Gruppe von Trappistenmönche in der Wüste. Zweck des Ganzen: sämtliche Unternehmungen des “Kriegs gegen den Terror” sollten Zustimmung im Westen finden. Im bürgerlich orientierten Inland der Städte natürlich auch. Es ging ja gegen das Schlimmste: den TERROR.
Was ergibt sich aus dem allen? Mindestens zweierlei: Der Krieg gegen den Terror als Krieg gegen den Islam verhindert genau das, was er angeblich befördern soll: Befreiung der Menschen aus selbst- oder fremdverschuldeter Unmündigkeit.
Und zweitens: Wer sich weigert, in die Gedanken von Muslimen einzudringen und sie als “einheitliche reaktionäre Masse” behandelt, unterstützt blind die verschiedenen Gewalten, die weiterhin militärisch nach Machtausweitung streben. Das vor allem Gruppen wie “achgut” oder “political incorrect” oder “pro Köln” ins Stammbuch geschrieben.
RezensentIn: Fritz Güde
Erschienen bei Edition Nautilus 2007, 13,90. Sie können dieses Buch bei Amazon bestellen.
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